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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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interessantes?«
    Es war klar, daß es in seiner Absicht lag, Robert Bertram zu beleidigen. Der Oberst, welcher als Wirth die Verpflichtung fühlte, sich seines jungen Gastes anzunehmen, fuhr auf: »Herr Baron, ich denke, daß –«
    »Bitte, bitte!« erklang es da von der anderen Seite her. »Ich bin ganz gern bereit, auf dieses Thema einzugehen.«
    Robert selbst hatte diese Worte gesprochen. Das, was beleidigend gemeint war, hatte ihn sofort mit Begeisterung erfüllt. Der Fürst sah ihm dies an.
    »Ja,« sagte er, »wir Alle sind gern einverstanden und bitten Sie, zu beginnen!«
    Robert trat vom Tische weg zur Seite, so daß Aller Blicke ihn zu erreichen vermochten. Einige Momente lang hing sein Auge wie nach dem Anfange suchend am Boden, dann aber begann er in der Weise der italienischen Improvisatoren:
    »Ich verkünde große Freude,
    Die Euch widerfahren ist,

Denn geboren wurde heute
    Euer Heiland Jesus Christ!
    Jubelnd klingt es durch die Sphären;
    Sonnen künden’s jedem Stern;
    Weihrauch duftet auf Altären;
    Glocken klingen nah’ und fern.
    Tageshell ist’s in den Räumen;
    Alles athmet Lust und Glück,
    Und an buntgeschmückten Bäumen
    Hängt der freudetrunk’ne Blick.«
     
    Er beschrieb nun in leicht fließenden, wohltönenden Versen den Weihnachtsjubel überall und lenkte dann ein:
    »Fast ist’s, als ob sich die helle
    Nacht in Tag verwandeln will,
    Nur da droben in der Zelle
    Ist’s so dunkel, ist’s so still.

Unten zieht des Festes Freude
    Jetzt in Aller Herzen ein,
    Droben ist mit seinem Leide,
    Seinem Grame er allein.«
     
    Jetzt folgten die Parallelen zwischen dem wonnepulsirenden Leben der Freien und dem nagenden Kummer des kranken Gefangenen in der Zelle, Parallelen und Bilder erschütternden Inhaltes. Der Todtkranke fühlt sein Ende nahen; er vernimmt bereits von weitem das Brausen der Ewigkeit. Da wird es ihm angst und bange; er gedenkt an seine Sünden und an die Gerechtigkeit Gottes. Welche Hilfe giebt es da? Keine andere als:
    »Betend faltet er die Hände,
    Hebt das Auge himmelan:
    Vater, gieb ein selig’ Ende,
    Daß ich ruhig sterben kann!
    Blicke auf Dein Kind hernieder,
    Das sich sehnt nach Deinem Licht.
    Der Verlor’ne naht sich wieder
    Geh’ mit ihm nicht in’s Gericht!«
     
    Wie Robert so dastand und ihm die Worte aus dem Munde strömten, war er nicht nur ein Dichter von Gottes Gnaden, sondern ein Redner, welcher seine Bilder mit erschütternder Tragik zeichnete. Aller Augen hingen an ihm und alle Ohren lauschten, damit keins seiner Worte verloren gehen möge. Es war eine Declamation, wie sie noch von Keinem jemals gehört worden war. Und weiter, weiter! Der Sterbende hat um Gnade und Erbarmen gefleht. Er kann nicht weiter. Die Kräfte verlassen ihn. Aber er lauscht, ob sich nicht aus dem Dunkel der Zelle ein Zeichen der Erhörung lösen wolle. Und es wird ihm dieses Zeichen, denn:
    »Da ertönt vom nahen Dome
    Feierlich der Glocken Klang,
    Und im majestät’schen Strome
    Schwingt sich auf der Chorgesang:
    Herr, nun lässest Du in Frieden
    Deinen Diener schlafen gehn,

Denn sein Auge hat hienieden
    Deinen Heiland noch gesehen!«
     
    Diese Worte des greisen, frommen Simeon klingen, im Chore gesungen, aus dem nahen Dome in die dunkle Zelle hinauf. Sie dringen in das Ohr und das Herz des Sterbenden und machen, daß die Angst vor dem Tode und die Furcht vor der Ewigkeit verschwinden und die Seele, mit Gott versöhnt, sich losringt aus den Banden des schwachen, sündhaften Leides. Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, nicht das Aufhören des Bestehenden, sondern er ist eine Neugeburt für eine andere, bessere und höhere Lebensform; er ist der Uebertritt in ein Dasein, von welchem Christus so schön sagt:»In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, Euch die Stätte zu bereiten!«
    Die Zuhörer waren tief ergriffen von der Gewaltigkeit dieser Schilderung. Das war ganz der zauberische Bilderreichthum des Dichters der »Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder«. Sie glaubten nun die Aufgabe beendet. Der Gefangene hatte ja mit seinem Gewissen, mit seinem Gotte abgeschlossen und war ruhig und selig durch das Thor der Ewigkeit getreten. Aber nein. Die Logik der Aufgabe erforderte, daß die Sühne auch von den irdischen Vertretern des Gottesgedankens anerkannt und legitimirt werde. Darum fuhr Bertram fort:
    »Schritte nahen, und die Zelle
    Wird erhellt von Kerzenschein;
    Ueber die gefei’te Schwelle
    Tritt der Diener Gottes ein.«
     
    Dieser sieht, daß der

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