Der verlorne Sohn
sein die Änderung.«
»Schön! Ich werde gehen sofort und sogleich.«
»Und ich werde eilen zu meiner Freundin Sarah Rubinenthal.«
Sie ging und fand die Freundin daheim. Das Mädchen hatte ein eigenes Zimmer; dorthin zogen sich die Beiden zurück. Von hier aus konnten sie, ganz wie der alte Jude gesagt hatte, grad in die Fenster des Obersten blicken.
Judith machte die Freundin mit dem Zwecke ihres Besuches bekannt und Beide nahmen am Fenster Platz, um ihre Beobachtung zu beginnen.
Drüben war Alles hell erleuchtet. So kam es, daß die Mädchen bis in das Innere der Zimmer zu sehen vermochten. Sie ließen sich nichts entgehen.
»Siehst Du ihn?« sagte Judith. »Siehst Du, was er macht?«
Die kleine Bucklige antwortete:
»Ich sehe ihn. Er steht da und schlägt mit den Armen in die Luft.«
»Er declamirt. Er wird machen ein Gedicht gleich aus dem Kopfe, wie er bei mir hat gleich gemacht das Gedicht von der Frau des Meeres.«
Sie ließen den Declamirenden nicht aus den Augen. Sie sahen, daß er dann an das Fenster trat, bald aber rasch in das Innere des Zimmers zurückkehrte. Einige Zeit später kam Fanny von Hellenbach an das Fenster. Sie stand halb gegen das Licht gewendet, so daß man ihre Gesichtszüge sehen konnte.
»Das ist sie!« stieß Judith hervor. »Kennst Du sie?«
»Ich sehe sie alle Tage.«
»So sage einmal, ob sie schön ist, Sarahleben!«
»Sie ist schön, sehr schön!«
»Ja, sie ist schön; aber ist sie schöner als ich?«
Die Gefragte kam in Verlegenheit. Sie antwortete:
»Sie ist schön, und Du bist schön. Die Schönheiten sind ja ganz verschiedener Art.«
»Das will ich nicht wissen! Wenn Du wärst dieser Robert Bertram, welche würdest Du schöner finden, sie oder mich?«
»Dich!« antwortete Sarah.
Sie konnte unter diesen Umständen ganz natürlich keine andere Antwort geben. Da aber stieß Judith einen scharfen, zischenden Laut aus, wie eine Natter, die einen Feind sieht.
»Ah, er kommt! Er stellt sich zu ihr!« sagte sie. »Jetzt werden wir sehen, ob sie freundlich mit ihm ist. Siehst Du seine Augen?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Gott meiner Väter! Seine Augen möchte ich sehen! An den Augen merkt man es, ob sie sich lieben. Aber jetzt, jetzt! Sie berührt ihn! Sie greift ihn an! Sie legt ihm den Arm auf die Schulter! Was sagst Du dazu, Sarah Rubinenthal?«
Judith befand sich in größter Aufregung. Sie stampfte mit dem Fuße, sie trommelte mit den Fingern an die Fensterscheibe. In ihren Adern rollte orientalisches Blut. Sie wäre am liebsten hinüber geeilt, um der Rivalin die Augen auszukratzen. Da die Freundin nicht antwortete, wiederholte sie:»Ob Du es siehst, frage ich?«
»Ja, ich sehe es!«
»Was sagst Du dazu? Jetzt wird sie ihm erklären ihre Liebe!«
»Wird sie das wirklich? Kann sie das?«
»Warum nicht? Du siehst es ja! Wenn sie wären allein mit einander, würde sie ihm legen die Arme um den Hals und ihn küssen mit den Lippen auf seinen Mund!«
»Er geht!«
»Ja, er geht, aber zu spät. Sie liebt ihn, und er liebt sie. Ich weiß, was ich zu thun habe!«
Der Freundin wurde es angst und bange.
»Was wirst Du thun?« fragte sie. »Du weißt ja kein Wort von dem, was die Beiden mit einander gesprochen haben.«
»Ich brauche kein Wort zu wissen. Ich weiß dennoch Alles. Schau, da kommt ein Wagen. Er gehört dem Fürsten von Befour. Jetzt werden sie aufbrechen, und wir müssen hinab gehen, um zu sehen, was geschehen wird mit Bertram.«
»Was soll geschehen mit ihm?«
»Ich muß wissen, ob er mit fortfährt oder ob er bleibt bei dem Obersten von Hellenbach!«
Sie begaben sich vor die Thür und brauchten nicht lange zu warten. Drüben stieg der Fürst mit Bertram und der Baronesse von Helfenstein ein. Dabei hörten sie die laut gesprochenen Worte des Obersten: »Also, Herr Bertram, vergessen Sie ja nicht, daß Sie zu jeder Zeit bei mir offenen Zutritt haben. Betrachten Sie sich ganz als in mein Haus gehörig!«
Der Wagen rollte fort. Judith hatte Sarah’s Hand ergriffen. Sie drückte dieselbe mit aller Macht und fragte: »Hast Du es gehört? Deutlich gehört? Er hat offenen Zutritt! Nicht?«
»Ja.«
»Und gehört in das Haus des Obersten! Weißt Du, was das bedeutet? Er gehört zum Hause, er gehört zur Familie! Er ist der Verlobte der Tochter!«
»Vielleicht irrst Du Dich!«
»Nein, nein, ich irre mich nicht! Er ist mir untreu geworden! Er liebt mich nicht! Er liebt eine Andere! Aber ich kenne ein Mittel, ihn zu zwingen, zu mir zu kommen! Gute
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