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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gegenwart.
    »Aber, mein Herr,« sagte sie, sichtlich enttäuscht, »ist das denn gar so eilig? Ich brauche das Geld nicht!«
    »Und dennoch bitte ich, es zurückzunehmen. Schulden drücken.«
    Es ging wie ein Blitz über ihr Gesicht. Sie zuckte gleichmüthig die Achsel und antwortete:
    »Ganz wie Sie wollen. Ich hatte gedacht, daß Sie das kleine Darlehen anders betrachten würden; ich hatte auch geglaubt, Sie öfters bei uns zu sehen – –«
    »Entschuldigung! Meine Zeit wird von meinen Studien so in Anspruch genommen sein, daß ich wohl nicht in die Lage kommen werde, Sie zu belästigen.«
    »So! Dann zählen Sie auf!«
    Er legte das Geld hin. Sie zählte nach und sagte dann zu ihrem Vater:
    »Die Kette! Du hast sie doch gut verschlossen gehabt?«
    »Sie liegt noch so, wie ich sie in das Pult gelegt habe. Hier, Herr Bertram. Es ist doch die Ihrige?«
    Bertram öffnete das Schächtelchen, in welcher sie ihm hingereicht wurde, warf einen kurzen Blick darauf und sagte: »Ja, sie ist es. Nehmen Sie meinen Dank!«
    Er verabschiedete sich und ging, um sich nach dem Hause Nummer Elf zu begeben.
    Draußen vor der Thür wäre er fast von einem riesengroßen Menschen umgerannt worden, welcher vorübertaumelte. Dieser war der Bruder des Riesen Bormann; er befand sich im Zustande ziemlicher Betrunkenheit und hatte seine Richtung nach dem offenen Platze zu genommen, auf welchem der Circus stand. Dort angekommen, blieb er stehen und horchte. Aus der Manége erklang das laute Klatschen von Peitschen.
    »Sie arbeiten,« brummte er. »Will doch einmal hinein!«

    Er war als Künstler, als ›College‹ bekannt und fand ungehindert dort Zutritt. Er sah einige Zeit den Uebungen zu, ging dann in den Stall, um sich die Pferde anzusehen, und wollte sich dann entfernen, als er dem Director in den Weg lief.
    »Bormann!« sagte dieser. »Alle Teufel, Sie? Wie geht es?«
    »Gut!« lautete die Antwort.
    »Hm! Das ist eine Seltenheit! Ihre Verwandtschaft ist sonst nicht sehr vom Glück begünstigt!«
    »Zielen Sie auf meinen Bruder?«
    »Auch mit. Wie steht es mit dem?«
    »Irrenhaus! Er ist verrückt.«
    »Ich hörte es. Und Sie? Was treiben Sie?«
    »Jetzt noch nichts; aber ich fange nun an, zu arbeiten.«
    »Unter welcher Direction?«
    »Unter meiner eigenen.«
    »Sie wollen wieder einmal selbst dirigiren?«
    »Ja.«
    »Und eine Truppe bilden? Haben Sie denn Geld dazu?«
    »Wem geht das etwas an?«
    »Richtig! Mich nicht. Aber, da fällt mir ein: Brauchen Sie vielleicht Personal?«
    »Nein.«

»Schade. Ich hätte etwas für Sie.«
    »Was?«
    »Einen Jungen. Habe ihn erst kürzlich bekommen und ein Heidengeld bezahlt. Da stürzt mir der Bengel vom Pferde und bricht ein Bein. Er wird zwar wieder gesund, aber bis dahin habe ich ihn doch daliegen. Ich mag ihn nicht mehr sehen?«
    »Wer sind seine Eltern?«
    »Das geht Sie nichts an!«
    »Zeigen Sie!«
    »Kommen Sie!«
    Er führte den Betrunkenen nach der hintersten Ecke des Stalles; dort lag auf Stroh der hübsche Knabe, den er durch den frommen Seidelmann erhalten hatte. Das Kind sah schrecklich bleich aus und wimmerte leise.
    »Nun, wie gefällt er Ihnen?« fragte der Director.
    »Will sehen!«
    Bormann bückte sich nieder, um die Muskulatur des Knaben zu untersuchen. Dieser schrie vor Schmerz laut auf.
    »Halte das Maul, Bube, sonst stopfe ich es Dir!« drohte der Betrunkene.
    »Vater! Mutter!« wimmerte der Kleine in sich hinein.
    »Hier hast Du eins!«
    Die Hand des starken Mannes fuhr hernieder – das Kind war von jetzt an still.
    »Nun?« fragte der Director.
    »Nicht übel! Wie ist der Preis?«
    »Ich habe ein Heidengeld gegeben; ich mag gar nicht daran denken. Es ist verloren. Was geben Sie?«
    »Zehn Gulden.«
    »Das ist doch ein Schundpreis! Nein!«
    Bormann dachte nach.
    »Hm!« brummte er. »Es ist mir lieb, daß der Junge das Bein gebrochen hat. Ich wollte, alle beide wären entzwei. Ich kann es nach meiner Weise kuriren; freilich, den Verband muß ich aufreißen. Man kann einen Kautschukmann aus ihm machen. Ich will zwanzig Gulden geben, aber keinen Kreuzer mehr!«
    »Zwanzig Gulden? Wenig, verflucht wenig!«
    »Der Teufel hole mich, wenn ich einen Heller mehr biete!«
    »Na, ehe ich ihn so lange hier liegen habe und das Jammern anhöre, dann fort mit Schaden! Topp! Nehmen Sie ihn!«
    »Topp! Heut Abend hole ich ihn ab. Das Wimmern will ich ihm schon abgewöhnen. Ich leide so etwas nicht. Bei mir heißt es arbeiten, aber nicht jammern!«
    So war also dieser Handel

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