Der verlorne Sohn
befand. Auch Eduard bemerkte es, und als sie dann nach Hause ging und er sie bis vor die Thür begleitete, fragte er: »Hat Dich vielleicht Jemand von uns beleidigt, Engelchen?«
»Nein, Eduard, Niemand,« antwortete sie.
»Du warst so ernst, während wir uns so glücklich fühlten!«
»Nur weil ich an den Vater dachte, der heute so ungut mit den Deinigen war.«
»Ist Dir vielleicht der Grund bekannt?«
Sie kannte ihn nur zu gut; auch wußte sie, daß die Ursache ihrer Schweigsamkeit eine ganz andere gewesen sei. Sie hatte an das Vergnügen gedacht, welches ihrer wartete. Sie hatte sich den Ballsaal im Geiste ausgeschmückt. Wie sehr stach gegen ihn die ärmliche Stube ab, in der sie sich befand! Waren diese Hausers wirklich die Leute, mit denen sie verkehren konnte, sie, die schöne und ehrenvolle Einladungen bekam? Wie manches vornehme Mädchen würde entzückt sein, eine solche zu erhalten!
»Nein,« antwortete sie; »ich kenne den Grund nicht.«
Es war das erste Mal, daß sie den Nachbarssohn belog. Eduard mußte an das denken, was der Förster über ihren Vater gesagt hatte, und so warf er unwillkürlich die Worte hin: »Vielleicht sind wir Deinem Vater nicht gut genug?«
»Wo denkst Du gleich hin!« beugte sie schnell vor. »Vielleicht war er nur darum so kurz mit Deinem Vater, weil er gerade sehr viel nachzudenken hatte.«
»Nachzudenken? Hat er vielleicht von den Seidelmanns ein schwieriges Muster erhalten? Ich will ihm helfen, die Fäden auszurechnen.«
Das hatte er bereits oft gethan, denn er war ein geschickterer Weber als Hofmann; sie aber antwortete:
»Er ist klug genug dazu! Aber nicht er hat Etwas erhalten, sondern ich selbst.«
»So? Etwas Erfreuliches?«
»Ja, so erfreulich, wie ich im ganzen Leben noch nichts empfangen habe. Es kam mit der Post.«
»Ah, ein Brief?«
»Nein, sondern ein Packet. Rathe einmal, was es enthielt!«
»Wer kann da rathen! Ein Geschenk?«
»Ja, und eine Karte.«
»Eine Karte? Heute ist doch nicht Dein Geburtstag gewesen«
»Nein; den kennst Du ja genau. Es war keine Geburtstagskarte, sondern eine viel schönere – eine Ballkarte.«
»Eine Ballk – –«
Das Wort blieb ihm auf der Zunge liegen. Sie standen mit einander im dunklen Flur. Hätte sie sein Gesicht sehen können, so wäre sie gewiß erschrocken über die Todesblässe, welche sich plötzlich über dasselbe verbreitet hatte. All sein Blut wich nach dem Herzen zurück. Es war ihm, als ob er im nächsten Augenblick ersticken müsse.
»Nun, was sagst Du dazu?« fragte sie, ärgerlich über sein langes Schweigen.
»Wann ist der Ball?« fragte er.
»Nächsten Dienstag.«
»Wo?«
»Hier in der Schänke.«
»Da ist ja Maskenball, wie ich gehört habe!«
»Jawohl, Eduard. Der erste Maskenball, den ich mitmache!«
»Aber man sagte doch, daß er nur für das Stadtcasino sei?«
»Allerdings für das Casino und für Die, welche von den Mitgliedern eingeladen werden.«
»Und Du gehörst zu diesen Geladenen?«
»Natürlich! Ich habe sogar den Maskenanzug erhalten!«
Sie sagte das beinahe jubilirend, ganz in demselben freudigen Tone, in welchem vorhin seine hungernden Geschwister das Brod bewillkommnet hatten. Es war ihm ganz so, als ob sich eine harte, kräftige Hand um seine Kehle lege, um ihn zu erwürgen, und es dauerte lange, ehe es ihm gelang, die Frage hervorzustoßen: »Den Maskenanzug? Den kann ein Mädchen doch nur von ihrem Geliebten oder gar Verlobten erhalten!«
»Meinst Du? Nun, vielleicht habe ich so einen Geliebten oder gar Verlobten!«
»Engelchen, sagst Du das im Ernste?«
Sie hörte das Zittern seiner Stimme. Sie war nicht schlecht; sie war auch nicht leichtsinnig; sie war nur jung und unerfahren. Sie hatte ihn lieb, so lieb, nun ja, wie man einen Nachbarssohn gewöhnlich zu haben pflegt, dachte sie, und da gab es ihr Spaß, ihn ein Wenig zu necken oder gar zu ärgern. Denn daß er sich ärgere, das hörte sie ja: Seine Stimme bebte vor Zorn.
»Denkst Du denn, daß ich Spaß mache?« fragte sie.
»Und wer ist es, der Dir einen Maskenanzug schicken darf?«
»Ein feiner Herr, ein Mitglied des Casino!«
»Ah, kein armer Weberssohn?«
»Nein.«
Ihr Ton hatte bei diesem Worte etwas schnippisch Hartes. Sie merkte das gar nicht, und noch viel weniger dachte sie daran, sich darüber Rechenschaft zu geben.
»So gratulire ich!« meinte er leise.
Man hätte fast sagen können, es sei eine ersterbende Stimme, mit der er diese Worte hervorlispelte.
»Ich danke! Du freust Dich
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