Der verlorne Sohn
wach. Der Vater begann sogleich wieder von der Einladung zu sprechen und von dem Glücke, welches ihr daraus erwachsen könne, und die Mutter breitete den mit goldenen und silbernen Flittern besetzten Anzug vor ihr aus und machte sie auf die Art und Weise aufmerksam, wie derselbe noch zu verschönern sei.
Sie liebte Eduard Hauser; aber sie war sich dessen noch nicht bewußt geworden. Darum machten die Flitter auf sie, das unbemittelte Webermädchen, Eindruck, und Das, was der Vater sagte, schmeichelte ihrer Eigenliebe.
Nur reiche Mitglieder zählte das Casino. Einer desselben hatte sie nicht nur eingeladen, sondern ihr sogar den Anzug geschenkt; er war also ganz gewiß verliebt in sie. Es lag nur in ihrer Hand, eine reiche Frau zu werden! Geld, Geschmeide, kostbare Kleider, Vergnügungen aller Art schwebten an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie bemerkte gar nicht, daß der Vater nach einiger Zeit zur Ruhe ging, und sie beachtete es kaum, daß die Mutter ihm nach wenigen Minuten folgte.
»Eine reiche Frau! Eine reiche Frau!« klang ihr ihre eigene Stimme fortwährend schmeichelnd in die Ohren, bis sie endlich aus dem Sinnen emporschreckte. Es hatte leise an die Fensterläden geklopft.
»Der Eduard ist’s,« sagte sie zu sich. »Wie schade, daß er nicht auch wohlhabend ist! Er wäre ganz sicher der Beste und vielleicht auch der Hübscheste von Allen! Er war vorhin so – so – so – hm – gegen mich, und dafür muß er bestraft werden. Er soll mich in diesem Anzuge sehen und vor Ärger vergehen müssen. Vor dem Vater möchte ich mich nicht so sehen lassen, ich schämte mich zu Tode, auch wohl vor dem Eduard nicht, denn er ist doch kein Mädchen; aber weil er mich geärgert hat, thue ich es dennoch! Und die vornehmen Herren auf dem Balle, die sehen mich doch auch! Nun, die kennen mich ja nicht, und mein Gesicht ist verhüllt! Da braucht man sich nicht zu schämen.«
Sie öffnete leise, leise die Thüren und ließ Eduard herein. Sein Gesicht erschreckte sie; die Farbe desselben spielte in das Aschfahle; seine Augen waren eingefallen, und in seinen Zügen lag ein Etwas, vor dem sie sich fürchten zu müssen glaubte.
Er deutete, ohne ihr eine Hand gegeben zu haben, auf den Tisch und fragte:
»Ist das die Italienerin?«
»Ja. Nicht wahr? Herrlich!«
»Sehr!« antwortete er tonlos. »Und diese Sachen willst Du wirklich anziehen?«
»Natürlich!« verwunderte sie sich.
»Du wirst Allen, Allen gefallen!«
»Meinst Du wirklich?«
»Das ist ja ganz natürlich!«
»So laß sehen, ob ich Dir auch gefalle!«
Sie griff nach der Garderobe.
»Du willst Dich wirklich einmal ankleiden?«
»Ich habe es Dir ja versprochen, mich als Italienerin zu sehen!«
»Gut, so thue es. Soll ich mich hinumdrehen?«
»Ich bitte Dich darum.«
Er drehte seinen Stuhl gegen die Wand. An derselben hing ein Spiegel, in welchem sich das kleine Stübchen fast vollständig conterfeite. Er sah, daß sie die Jacke auszog und die Schürze sammt dem oberen Rock entfernte. Sie legte den Maskenanzug und auch die dazu gehörigen weißen Strümpfe an. Er sah im Spiegel Alles, Alles. Er hatte von ihrer Schönheit noch gar keine Ahnung gehabt. Diese vollen, blendenden Arme, dieser üppige Nacken, die reiche Büste, die enge Taille, das kleine Füßchen und das schön geformte Bein! Er war ein armer Weber und kein erotischer Gourmand, kein Kenner weiblicher Schönheit; aber das Bild, welches sich jetzt innerhalb des Spiegelrahmens bewegte, dünkte ihm der Inbegriff alles Herrlichen und Schönen zu sein.
Er hatte versäumt, die Hand nach diesem Schatze auszustrecken, und nun war ein Anderer gekommen. Er knirschte die Zähne zusammen und blieb scheinbar ruhig.
Jetzt trat sie näher, um auch einen Blick in den Spiegel zu werfen. Sofort wendete er sich ab, damit sie nicht bemerken sollte, daß er im Stande gewesen sei, sie in dieser Weise zu beobachten. Sie steckte noch eine künstliche Rosenknospe an die Brust und sagte dann:
»So, jetzt darfst Du Dich umdrehen!«
Er wendete sich langsam um und betrachtete sie von dem Scheitel an bis zu den Zehen herab. Sein Gesicht blieb dabei bewegungslos, und sein Blick schien immer starrer zu werden.
»Nun, wie gefalle ich Dir?«
»Ganz und gar nicht,« antwortete er langsam und mit einem Nachdrucke, der nicht ohne Wirkung blieb.
»Was? Nicht? Ganz und var nicht?« fragte sie, vor Ärger erröthend. »Willst Du mir wohl sagen, warum?«
»Nun, hast Du denn bemerkt, daß Dir das dünne Röckchen nur bis auf
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