Der verlorne Sohn
das Knie geht?«
»So ist’s in Italien!«
»Daß die Strümpfe durchbrochen sind, so daß man mehr Haut als Strumpf zu sehen bekommt?«
»In Italien muß es sehr heiß sein!«
»Siehe Deine entblößten Arme!«
»Das ist dort so gebräuchlich!«
»Das tief ausgeschnittene Mieder!«
Sie hätte eigentlich erröthen mögen, aber der Ton, in welchem er mit ihr sprach, erregte ihren Zorn, und darum antwortete sie kurz und zurückweisend:
»Auch das ist Mode dort in Italien!«
Da erhob er sich von seinem Stuhle, verschränkte die Arme über die Brust und fragte:
»Weißt Du, wer hier bei uns Arm und Bein und Brust so zeigt wie Du?«
Sie erröthete und wurde schon im nächsten Augenblicke wieder blaß. Ihr mädchenhaftes Zartgefühl erkannte das Richtige; aber er sollte nicht über sie triumphiren.
»Nun, wer denn?«
»Die Mädchen, welche verloren sind.«
Sie gab sich Mühe, ein höhnisches Lächeln zu zeigen, und sagte:
»Hast Du dergleichen schon kennen gelernt, daß Du es so genau weißt?«
Er zuckte die Achseln und antwortete:
»Engelchen habe ich Dich genannt, aber ich kann Dich unmöglich auch fernerhin so nennen, wenn Du zu diesem Balle gehst. Du kennst mich von frühester Jugend an; Du kennst mein Leben, alle meine Gedanken. Und dennoch fragst Du, ob ich diese Verlorenen kennen gelernt habe! Das ist eine Schlechtigkeit von Dir! Die Schönheiten eines Mädchens sind für kein einziges Auge da; diejenigen eines Weibes sind nur für den Mann ihrer Wahl vorhanden. Eine Frau, welche andere Männer zu Mitbesitzern macht, selbst wenn es nur durch das Auge wäre, und ein Mädchen, welches zu jungen Burschen in solcher Kleidung geht, wie diese hier ist, diese Beiden gehören zu den Verlorenen. Ich bitte Dich um Gotteswillen, von Deinem Entschlusse zurückzutreten! Man darf wohl ahnen, wie schön ein Mädchen ist, sehen aber darf es nur ein Einziger. Für jetzt bin ich der Einzige, dem Du Dich gezeigt hast; es bleibt Dir nur die Wahl zwischen mir und der Schande. Entscheide Dich, Angelica!«
Er stand trotz seiner ärmlichen Kleidung so hoch, so stolz vor ihr wie ein Prophet und Prediger. Er hatte gar nicht das Aussehen eines armen Webersohnes. Die Angst seines Innern, sie zu verlieren, und sein reges, sittliches Gefühl hatten ihm Worte in den Mund gelegt, wie man sie sonst nur aus dem Munde gebildeterer Männer, als er einer war, zu hören pflegt; aber gerade durch diesen Ernst und diese Strenge fühlte sie sich zurück-und abgestoßen. Es wollte sie zwar kalt überlaufen; aber sie hatte ein Lob, eine kleine Anerkennung, daß sie schmuck und sauber sei, erwartet, und mußte eine solche Rede hören. Die Widerspenstigkeit des Evakindes überkam sie, und so antwortete sie:
»Was redest Du von Schande und von Dir? Zwischen Euch nur hätte ich zu wählen? Was bildest Du Dir ein! Hast Du noch nicht gehört, daß die feinsten Damen, Gräfinnen und Fürstinnen, so ausgeschnitten gehen wie ich hier? Ist das für sie auch eine Schande? Oder solltest Du von der Ehre mehr verstehen als sie? Geh weg! Ich habe Dir eine Freude machen wollen; nein, eine Auszeichnung sogar ist es, daß Du mich als Italienerin noch eher sehen solltest, als Der, welcher mir den Anzug geschickt hat, und zum Dank dafür willst Du mich zu den schlechten Mädchen zählen? Du bist nicht klug; Du bist nicht gescheidt; mit Dir ist nichts anzufangen!«
»Mit denen vom Casino wohl mehr?« gab er ihr zurück.
Hätte er es zu einem freundlichen Blicke bringen können, so hätten sich zwei brave Herzen hier gefunden; aber es gelang ihm nicht. Seine letzten Worte erbitterten sie noch mehr; daher antwortete sie:
»Ja; jedenfalls sind sie klüger wie Du und vernünftiger. Ein einziger Augenblick bei ihnen wird besser sein als hundert Jahre bei Dir! Merks!«
Seine Wangen hatten eine in’s Graue spielende Farbe angenommen. Er ließ die Arme sinken und schloß die Augen. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sie wieder öffnete. Dann legte er die Hände auf den Stuhl, als ob er sich stützen müsse, und fragte:
»Also, Du gehst doch auf den Ball?«
»Ja, ich gehe!«
Der Stuhl krachte und prasselte, und die Gestalt des jungen Mannes sank tiefer auf die Lehne herab.
»Und wenn ich Dich nun bitte, es nicht zu thun, Angelica?«
»Das ist umsonst! Ich gehe!«
»Wirklich? Ganz bestimmt?«
»Ganz sicher. Es bringt mich nichts davon ab! Ich selbst will es, und der Vater hat es auch befohlen!«
Da richtete er sich langsam auf. Es wurde ihm dunkel vor den
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