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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sagte er: »Frau, siehst Du, daß Gott uns nicht vergessen hat! Er macht noch immer seine Winde zu Boten und seine Diener zu Feuerflammen. Dieses Mal hat er dem Förster geboten, unser Engel zu sein. Ihm sei Preis und Dank!«
    »Aber wie lange wird es reichen?« meinte die Frau, welche nicht die Glaubensstärke ihres Mannes besaß. »Wir sind abgelohnt, wir haben keine Arbeit, und wie bald ist die Hypothek zu bezahlen! Wer soll da helfen? Es wird und kann sich Niemand finden! Wir müssen aus der Hütte!«
    »Kleingläubige, warum zweifelst Du? Wie er uns heute hilft, so wird er uns auch weiter helfen. Er ist mächtiger als die Sorge, und größer als die Noth!«
    »Er hat bereits geholfen, lieber Vater, liebe Mutter,« sagte da Eduard, der nicht länger an sich halten konnte. »Hier ist die Hypothek, und hier sind auch noch fünf Goldstücke mehr!«
    Damit sprang er vom Ofen herbei, zog das Geld aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Die Mutter schlug die Hände zusammen; die Geschwister blickten einander wortlos an; auch Engelchen gab durch ihre weitgeöffneten Augen ihr Erstaunen zu verstehen; der Vater aber erhob sich langsam von seinem Sitze, streckte die Hand gegen das viele Geld aus und sagte: »Eduard, mein Sohn, ich will nicht hoffen, daß die Noth Dich auf unrechten Weg geführt hat! Dieses Gold gleißt wie die Sünde. Wer kann Dir eine solche Summe borgen?«
    »Borgen, Vater?« fragte der glückliche junge Mann. »Geschenkt habe ich es erhalten, geschenkt!«
    »Das ist unmöglich, ganz und gar unmöglich!«
    Der Vater machte ein ernstes, fast trauriges Gesicht; die Anderen aber drangen in Eduard, ihnen zu erzählen, von wem er das viele Geld habe. Er mußte ihnen Folge leisten. Daher überließ er Engelchen den Ofen und erzählte aufrichtig, wie er in den Wald gegangen sei, um Holz zu holen, und dort den Förster getroffen habe, von dessen Frau ihm dann die Eßwaaren in den Korb gepackt worden seien.
    »Soweit ist Alles erklärlich,« sagte der Vater. »Die Liebe zu uns hätte Dich beinahe zum Diebe gemacht, und ich danke Gott, daß er Dich nicht aus seiner Hand gelassen hat. Aber das Gold, das Gold, das kannst Du nicht vom Förster empfangen haben!«
    »Nein, Vater.«
    »Von wem sonst?«
    »Das soll ich Allen verschweigen; nur Dir allein darf ich es sagen.«
    »Warum?«
    »Der Geber hat es mir befohlen.«
    »Ich kann das Geld nicht anrühren, als bis ich gewiß bin, daß mein Gewissen es mir erlaubt. Du bist stets gut und ehrlich gewesen; ich will Dich nicht verdächtigen, mein Sohn; aber ich muß wissen, auf welche Weise es in Deine Hand gekommen ist. Folge mir, und erzähle es!«
    Er zog sich hinter den Webstuhl zurück, wo Eduard mit leiser Stimme ihm Bericht erstattete. Die Anderen waren still, doch hörten sie nur das leise Geflüster, verstehen aber konnten sie nichts, als endlich nur die Frage des Vaters: »Und der Förster ist Zeuge, daß es wirklich so ist?«
    »Ja, Vater!«
    »Und ich kann mich also getrost bei ihm erkundigen?«
    »Thue es in Gottes Namen!«
    »Nein, ich werde es nicht thun, denn nun ist mein Gewissen beruhigt. Ich glaube und vertraue Dir!«
    Er kehrte wieder an den Tisch zurück. Die Mutter, bereits durch seine letzten Worte mit froher Hoffnung erfüllt, blickte ihn dennoch fragend an. Er nickte ihr unter einem glücklichen, verklärten Lächeln zu und sagte: »Kinder, es ist uns heute ein Heil widerfahren, und eine große Gnade ist uns begegnet. Faltet Eure Hände und betet mit mir:
    ›Wie groß ist des Allmächtigen Güte!
    Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt,
    Der mit verhärtetem Gemüthe
    Den Dank erstickt, der ihm gebührt?
    Nein, seine Liebe zu ermessen,
    Sei ewig meine größte Pflicht.
    Der Herr hat mein noch nie vergessen,
    Vergiß, mein Herz, auch seiner nicht!‹«
     
    Wer in diesem Augenblicke in die ärmliche Stube getreten wäre, dem hätte ein Odem Gottes entgegen geweht, als ob er sich in der Kirche befinde. Die Armuth, das Elend führt zu Gott; der Reichthum aber macht gleichgiltig gegen den Geber aller Güter.
    Das Feuer knisterte in dem Ofen, und das Wasser begann im Topfe zu singen. Es wurde nach und nach warm in dem Raume, und auch die Menschen waren warm und lebendig geworden. Sonderbar, daß gerade Diejenige, welche wenigstens von schwerer Sorge bisher verschont geblieben war, desto einsilbiger wurde, je fröhlicher sich die Anderen zeigten – nämlich Engelchen.
    Es war ihr anzusehen, daß sie sich nicht in ihrer gewöhnlichen Stimmung

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