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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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arm und hat selbst Kinder; aber für die Verwaisten wäre Keiner besser als er.«
    »Nun, dann bitte ich, Herr Pfarrer, diese Kleinigkeit in Empfang zu nehmen! Hier fünfzig Gulden zur Beerdigung der Todten, und hier hundert Gulden, von denen Sie nach Bedürfniß an Hauser zahlen. Zuletzt nehmen Sie hier das Päckchen, es enthält tausend Gulden, welche Summe zur Aufbesserung Ihrer Armenhausverhältnisse verwendet werden soll.«
    Der Pfarrer stand vor Erstaunen starr und steif.
    »Herr,« sagte er endlich, »sind Sie denn reich genug, solche Summen verschenken zu können?«
    »Ich besitze Millionen!« lächelte Arndt.
    »Aber, verzeihen Sie, Ihr Äußeres ist nicht dasjenige eines Millionärs!«
    »Das ist sehr wahrscheinlich. Doch, darf ich hoffen, daß meine Bitten in Erfüllung gehen?«
    »Gewiß, gewiß! Ich werde augenblicklich die Kinder holen, um sie zu Hauser zu bringen. Er hat zwar selbst nicht viel Platz, aber sein Character und seine Zuverlässigkeit wiegen diesen Mangel mehr als auf. Doch, werther Herr, wenn ich nun gefragt werde, wem wir diese Gaben und Wohlthaten zu verdanken haben, wie soll ich dann antworten?«
    »Nennen Sie meinen Namen!«
    »So bitte, wie heißen Sie?«
    »Der Fürst des Elendes! Guten Abend, Hochwürden!«
    Im nächsten Augenblicke war er zur Thür hinaus. Der Pfarrer stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Er wußte gar nicht, was er denken oder thun solle. Da ging die Thür auf, und eine Dame trat ein. Es war seine Schwester, welche bei ihm wohnte. Sie sah die Miene, welche er machte und fragte ganz betreten:
    »Um Gottes Willen, was ist Dir geschehen? Dir muß ja etwas ganz und gar Ungewöhnliches passirt sein!«
    Das gab ihm die Sprache wieder. Er antwortete, aber immer noch stockend, als ob er sich von seiner Ueberraschung noch immer nicht erholen könne:
    »Ja, etwas Ungewöhnliches, etwas ganz Ungewöhnliches ist mir passirt! Ich kann kaum Herr meines Erstaunens werden!«
    »So sage schnell, ob es etwas Schlimmes ist! Es war ein fremder Mensch bei Dir; ich habe ihn hier eintreten sehen.«
    »O, Du brauchst ganz und gar nicht zu erschrecken. Es ist im Gegentheile etwas Hochwillkommenes, was dieser Fremde mir gebracht hat. Weißt Du, wer er war?«
    »Wie soll ich es wissen? Er hatte das Aussehen eines ganz gewöhnlichen Arbeitsmannes.«
    »Eines Arbeitsmannes? Ja, ja, das mag sein; aber er war doch etwas ganz Anderes. Denke Dir, es war der Fürst des Elendes!«
    Da machte sie eine höchst überraschte Miene und sagte:
    »Scherzest Du? Der Fürst des Elendes? Du lieber Gott, das wäre gerade der Richtige für unsere Gegend! Einen solchen Mann könnte Niemand so sehr gebrauchen wie unsere arme Bevölkerung!«
    »Ja, er war es! Er ist da bei uns, in unserer Gegend, in unserem Orte, und Geld hat er mir gegeben, viel, sehr viel Geld!«
    Sie schlug die Hände zusammen und fragte:
    »Viel Geld? Für wenn denn?«
    »Für die Hinterlassenen der todten Schreibersfrau und für – o, was bin ich doch unaufmerksam! Ich muß ihm nach; ich muß mich bei ihm bedanken; ich muß ihn kennen lernen und mit ihm sprechen! Er soll erfahren, was uns hier Noth thut! Ich eile, Du sollst nachher das Nähere erfahren!«
    Bei diesen Worten eilte er zur Thüre hinaus. Vor dem Hause angekommen, blickte er die Gasse hinauf und hinab, konnte aber Niemand bemerken. Da kam ein Mann den Fußweg herab und um die Ecke des Hauses. Er trug die dunkle Tracht der dortigen Gegend und hatte einen tief schwarzen Vollbart. Seine Gestalt war beim Leuchten des Schnees ganz deutlich zu erkennen.
    »Guten Abend!« sagte er. »Nicht wahr, heute wird hier im Orte ein Missionsvortrag gehalten?«
    »Ja, so etwas Ähnliches,« antwortete der Pfarrer reservirt.
    »Wo ist das?«
    »In der Schänke. Gehen Sie die Gasse hinab, so werden sie die erleuchteten Fenster des Saales sehen. Es ist fünf Uhr, und so wird dieser Vortrag wohl bald beginnen. Ist Ihnen vielleicht ein Mann begegnet?«
    »Nein, kein Mensch. Wie soll er ausgesehen haben?«
    Der Pfarrer beschrieb den Fürsten des Elendes genau, aber der Andere hatte ihn nicht gesehen. Der brave Geistliche ahnte nicht, daß er den Gesuchten vor sich habe. Während des kurzen Gesprächs mit seiner Schwester hatte Arndt doch Zeit gehabt, hinter dem Hause die Jacke umzuwenden und sowohl die Kopfbedeckung als auch den Bart zu vertauschen. Er bedankte sich bei dem Pfarrer für die erhaltene Auskunft und begab sich nach der Schänke.
    Dort herrschte ein sehr reges Leben. In der

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