Der verlorne Sohn
sein?«
»Fußtapfen!«
»Richtig! Diese Fußtapfen kommen von allen Seiten auf die Eiche zu und gehen dann nach allen Seiten wieder von ihr fort. Hier haben sich zahlreiche Menschen zusammengefunden, ob zugleich, einzeln oder nach und nach, das ist leider nicht zu unterscheiden. Was haben sie hier gewollt? Sind es Pascher gewesen? Steht die Eiche in einer dauernden Beziehung zu ihren Zusammenkünften? Hm! Wollen doch einmal den alten Stamm untersuchen!«
Beide aber konnten trotz allen Suchens nichts Auffälliges oder Ungewöhnliches an ihm entdecken. Ihre Mühe blieb ohne Resultat.
»Lassen wir es für heute sein; behalten wir aber diesen Baum auch fernerhin im Auge!« sagte Arndt. »Wir können mit Dem, was wir gefunden haben, leidlich zufrieden sein!«
»Sie meinen, daß wir nach Hause gehen?«
»Ja, ich wenigstens. Wollten Sie nicht den Obersteiger aufsuchen?«
»Ja. Ich muß dem Eduard Wort halten! Ich werde das gleich jetzt thun. Was fangen wir mit dem Betttuchzipfel an?«
»Wir übergeben ihn der Polizei. Ich möchte jetzt noch nicht genannt werden. Thun Sie so, als ob Sie die heutige Excursion ganz allein unternommen hätten!«
»Schön! Soll ich von der Eiche hier Etwas bemerken?«
»Kein Wort! Ich will mich lieber auf mich selbst verlassen, als Andern Gelegenheit geben, mir den Brei zu verderben. Hier ist der Zipfel. Nehmen Sie ihn mit!«
Sie trennten sich. Arndt kehrte nach der Försterei zurück, wo Wunderlich sich nach einiger Zeit auch einstellte. Er erzählte, daß sein Gang zum Obersteiger nicht von Erfolg gewesen und daß auch der Gensd’arm nicht anzutreffen gewesen sei. Er wollte versuchen, ihn nach Tische anzutreffen.
Darüber war der Vormittag vergangen. Nach dem Mittagessen machte der Alte sich abermals auf den Weg. Arndt hatte sich in sein Stübchen zurückgezogen und saß, mit der Lectüre eines Buches beschäftigt, am Fenster, von wo aus er den Förster zurückkehren sah. Er begab sich sofort hinab in die Wohnstube.
Der Alte war sehr aufgeregt, das sah man ihm sofort an. Er warf die Pelzmütze zornig auf den Tisch, warf sich in einen Stuhl und stieß einen kurzen, schrillen Pfiff aus. Frau Barbara wußte, daß dies ein sicheres Zeichen sei, daß er etwas Ärgerliches erlebt oder erfahren habe.
»Na, Alterchen,« sagte sie. »Was ist Dir denn so in die Quere gekommen?«
»Viel, sehr viel!« antwortete er. »Man glaubt gar nicht, was Alles passiren kann! Zuerst muß ich Euch sagen, daß um fünf Uhr Kirche ist, Gottesdienst, und zwar in der Kneipe!«
»In der Kneipe?«
»Ja, im Saale der Schänke.«
»Gottesdienst? Das ist doch gar nicht möglich!«
»Gottesdienst oder Missionspredigt oder dergleichen, gehalten von dem früheren Schuster Seidelmann.«
»Da gehe ich hin! Den muß ich hören!« sagte Arndt.
»Wünsche guten Appetit und viel Vergnügen! Ich bin nicht neugierig oder fromm oder gottlos genug, solche Sachen mitzumachen. Ich rede mit meinem Herrgott überall; aber wenn ich in der Kneipe sitze, da lasse ich ihn in Ruhe!«
»Und sodann? Was hat es ferner noch gegeben?« fragte Frau Barbara.
»Ein Unglück, ein fürchterliches, entsetzliches Unglück!«
»Herrgott, was denn und wo denn?«
»Mit dem kleinen Beyer.«
»Dem Schreiber bei Seidelmanns?«
»Ja. Das Herz könnte sich Einem im Leibe umdrehen! Du weißt doch, wie lange seine Frau bettlägerig ist?«
»Freilich wohl! Die Ärmste soll wenig Hoffnung haben, jemals wieder aufzukommen!«
»Ja, damit ist’s vorüber. Denkt Euch, der Beyer ist arretirt!«
Frau Barbara faltete vor Schreck die Hände und rief:
»Weshalb denn?«
»Wegen Hehlerei und Widerstand gegen die Staatsgewalt.«
»Der? Ein Hehler? Das ist im ganzen Leben nicht wahr! Und Widerstand gegen die Staatsgewalt? Der hat noch keinem Kinde ein Leid gethan. Alles will ich glauben, nur das nicht! Was soll er denn gehehlt oder verhehlt haben?«
»Einen Diebstahl, den seine Tochter ausgeführt hat!«
»Die Gustel, das arme Wurm? Die soll eine Diebin sein? Nun geht aber gleich die Welt unter? Ich glaube nicht daran, nun und nimmer nicht! Wie ist denn das gekommen?«
»Na, wie soll es denn gekommen sein? Wie Alles in der Welt: Nicht von ungefähr. Wer weiß, wer auch da dahinter steckt und die schmutzigen Hände im Spiele hat. Also plötzlich heißt es im Orte: Der Gensd’arm ist beim Schreiber Beyer. Natürlich rennt Alles hin, um Maulaffen feil zu halten!«
»So ist’s, Alter! Wenn Einem ein Malleur passirt, da kommen sie in hellen Haufen
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