Der verlorne Sohn
gerannt, um sich darüber zu freuen. Geht es Einem aber wohl, so bleiben sie davon und krächzen vor Mißgunst und Neid. Also wie weiter?«
»Nach einiger Zeit kommt der Gensd’arm aus dem Hause und geht zum Bürgermeister. Dort sitzt der Fritz Seidelmann, geht aber bald wieder fort.«
»Ah, der? Weil nur der dabei ist!«
»Wieder nach einiger Zeit kommt der Schreiber mit der Gustel. Diese Beiden gehen auch zum Bürgermeister. Das Volk zieht natürlich hinterher, gerade wie die Ameisen hinter der Blattlaus. Was haben die Beyers mit dem Gensd’arm und beim Bürgermeister zu thun? So fragt sich Alles. So fragt sich auch die gute Madame Heinefeld, welche neben Bürgermeisters wohnt und zehn Teufel und zwanzig Kalender im Leibe hat. Sie macht sich also ein Behelfchen und sucht die Frau Bürgermeister auf. Von der erfährt sie, daß die Gustel gestohlen hat und daß ihr Vater der Hehler sei.«
»Was soll sie denn gestohlen haben?«
»Der Eine sagt dies und der Andere das; ich glaube gar nichts. Also, die beiden neugierigen Weiber horchen. Sie hören die Gustel weinen und ihren Vater raisonniren. Er will sich nicht gefangen geben. Beide sollen nach der Amtsstadt transportirt werden, und das will der Beyer sich nicht gefallen lassen. Er betheuert seine Unschuld; er sagt, daß seine Tochter keine Diebin sei; er ruft, daß er seine Frau nicht verlassen dürfe. Der Bürgermeister will Gewalt anwenden, und da, nun ist der Teufel los! Ich glaube, der kleine Mann hat in seiner Wuth sich gar gewehrt. Da haben sie ihn überwältigt und ihm die Hände gefesselt.«
»Du mein lieber Gott! Was soll nun daraus werden!«
»Was daraus werden soll? Na, das, was bereits daraus geworden ist: Der Bürgermeister hat einen Fuhrmann requirirt, und der Beyer ist mit seiner Tochter unter der Bedeckung des Gensd’arms nach der Amtsstadt transportiert worden.«
»Und seine Frau, das arme, kranke Wesen, wie wird sie das Unglück aufnehmen? Sie wird es nicht verwinden können!«
»Pah, sie hat es bereits verwunden! Man kennt ja die Menschheit! Als die beiden Gefangenen im Schlitten sitzen und die Pferde sich in Bewegung setzen, setzen sich auch die Maulaffen in Bewegung. Und wohin? Natürlich nach Beyers Wohnung! Nicht etwa in schlechter Absicht! O nein! Trösten wollen sie, einem etwaigen Unglück vorbeugen wollen sie, weiter nichts! Diese Menschheit ist so gut, so liebevoll, so zuvorkommend! Und da stürzen sich nun ein halbes Dutzend solcher Klatschbasen zu der Kranken in die Stube und schreien ihr vor, daß ihr Mann in Ketten und Banden als Dieb und Hehler mit der Tochter fortgeschafft worden sei.«
»Die Unvorsichtigen! Herr Jesus, was wird da geschehen!«
»Was soll denn da geschehen? Nichts weiter natürlich, als daß die arme Frau vom Lager auffährt und einen entsetzlichen Schrei ausstößt. Sie fährt sich mit den Händen nach dem Herzen, der Athem geht ihr aus, das Gesicht wird erst roth und dann braun, und dann, nun ja, dann ist sie eben eine Leiche. Ganz recht! Warum ist sie die Frau eines Hehlers und die Mutter einer Spitzbübin!«
Frau Barbara schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und brach in ein lautes Weinen aus. Der Förster sprang von seinem Stuhle auf und lief mit langen, dröhnenden Schritten in der Stube hin und her. Da fragte Arndt:
»Was Sie da erzählen, das ist wirklich wahr?«
Da blieb der Alte vor ihm stehen, hielt ihm die Faust unter die Nase und brüllte:
»Herr, denken Sie, daß ich mit dem Unglücke meiner Mitmenschen Hallo und Allotria treibe! So kommen Sie mir ja nicht, sonst bin ich im Stande und werfe Sie zur Thür hinaus! Das merken Sie sich, Sie Vetter Arndt, Sie!«
Arndt nickte ihm wohlwollend zu und sagte:
»So krumm war es ja gar nicht gemeint!«
»Na, das will ich mir auch ausgebeten haben!«
»Sind diese Beyer’s brave Leute?«
»Brave Leute? Was das nun wieder für eine Frage ist! Würde ich denn so in’s Pulverfaß gerathen, wenn es nicht brave Leute wären?«
»Sind noch weitere Kinder da?«
»Natürlich! Vier Stück, vier arme, bleiche, abgehärmte, ausgehungerte Würmer, welche sich nicht getraut haben, laut zu reden! Die ganze Familie hat seit Montag von drei Pfund Sauerkraut gelebt. Herrgott von Mannheim, ich möchte der ganzen Welt den Kopf abhacken! Und wissen Sie, was man mit den Kindern gemacht hat? In’s Armenhaus hat man sie geschleppt, wo sie nichts lernen als die Bettelei! Sie müssen nämlich wissen, daß es dort mit Arbeit und Verpflegung noch ärger im Argen
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