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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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liegt als bei den Kalmücken und Hottentotten! Ein Bund Stroh haben sie, worauf sie schlafen! Essen und Trinken sollen sie auch erhalten, ja, auf dem Papiere steht es; aber wer da nicht verhungern will, der muß hinaus auf die Dörfer und bei den Bauern fechten gehen.«
    »Schrecklich!«
    »Finden Sie es schrecklich? Nicht wahr? Da ist zum Beispiel eine alte Frau, Löffler ist ihr Name. Die hat sich stets ehrlich und redlich durch die Welt geschlagen, hat Gott geehrt und ihre Arbeit gethan und bei den Seidelmann’s lange Zeit die Aufwartung gehabt. Da auf einmal explodirt die Lampe; das brennende Kamphin stürzt ihr in’s Gesicht und verbrennt ihr Alles, auch die Augen. Sie ist blind, kann nichts mehr sehen, nichts mehr machen und verdienen. Seidelmann’s jagen sie fort; sie muß in das Armenhaus, und nun ist sie über achtzig Jahre alt und tastet sich von einer Thüre zur anderen, um nach dem lieben Brod zu gehen. Denken Sie, in solchem Wetter, wie gerade jetzt! Eines schönen Morgens wird man sie aus dem Schnee ziehen, todt, erfroren, und kein Hund wird nach ihr bellen! Herr Vetter, na, wohin denn so plötzlich?«
    »Fort!«
    Arndt war aufgesprungen und ging in sein Zimmer. Dort nahm er einige Gegenstände aus dem Koffer, steckte sie zu sich und verließ das Haus. Er ging eiligen Schrittes nach dem Städtchen, aber nicht die Straße entlang, sondern durch den Wald.
    Er hatte die Tracht der dortigen Gegend angelegt. An einer einsamen Stelle des Waldes angekommen, blieb er stehen und blickte sich vorsichtig um. Als er sich überzeugt hatte, daß er nicht beobachtet wurde, zog er die Jacke aus und wandte sie um, ebenso die Mütze. Die vorher dunkle Jacke war jetzt grau, die Pelzmütze war ein Plüschdeckel geworden. Nun zog er eine Perücke aus der Tasche und einen falschen Vollbart. Als er Beides angelegt hatte, war er hellblond geworden. Er hatte seine Züge so in der Gewalt, daß sie jetzt ganz andere zu sein schienen als vorher.
    Jetzt nun setzte er seinen Weg fort, gelangte in den Ort und fragte nach dem Pfarrhause. Er folgte der erhaltenen Weisung und klopfte an. Als er auf das laute »Herein« des Pfarrers eintrat, fand er in demselben einen alten, ehrwürdig aussehenden Mann mit mild blickenden Augen und einem Johannesgesichte.
    »Was wünschen Sie?« fragte der Geistliche, indem er das Blatt bei Seite legte, in welchem er gelesen hatte. Er hatte am Vor-und Nachmittage zu predigen gehabt und noch nicht in die Zeitung blicken können. Jetzt nun war er eben beschäftigt gewesen, den Artikel zu lesen, welchen heute früh der heilige Schuster seinem Neffen vorgelesen hatte.
    »Ich komme, um eine recht herzliche Bitte auszusprechen, Ehrwürden,« antwortete Arndt.
    »Sprechen Sie! Wer da bittet, der empfängt. Ich habe Sie noch nie gesehen. Sie scheinen nicht von hier zu sein?«
    »Ich bin allerdings hier fremd, Herr Pfarrer. Heute kam ich hier an und hörte von einem großen Unglücke, welches eine brave Familie betroffen hat.«
    »Sie meinen den guten Beyer? Ja, das ist ein Herzeleid, eine Heimsuchung, welche trauriger ist als traurig.«
    »Halten Sie die Angeklagten für schuldig?«
    »Gott allein sieht in das Verborgene, mir aber sagt mein Herz und meine Erfahrung, daß diesen Leuten Unrecht geschieht. Haben Sie Grund, Antheil an ihnen zu nehmen?«
    »Ja, einen sehr guten Grund.«
    »So sind Sie wohl verwandt mit Ihnen?«
    »Sehr nahe sogar, ehrwürdiger Herr. Ich möchte Etwas für diese beklagenswerthen Leute thun.«
    »Gott segne Sie! Sie kommen da gerade recht, wie der Fürst des Elendes, von dem ich soeben gelesen habe. Kann ich Ihnen zu Hilfe sein?«
    »Sehr, sehr! Zunächst glaube ich, daß es Ihrer Fürbitte gelingen werde, wenigstens den Vater gegen Handgelöbniß zur Freiheit zu helfen.«
    »Das hatte ich mir bereits vorgenommen.«
    »So höre ich, daß Sie ein treuer Hirte und kein Miethling sind. Sollte eine Caution gefordert werden, so bin ich bereit, sie zu zahlen. Was nun die Kinder betrifft, so höre ich, daß sie sich im Armenhause befinden?«
    »Leider! Wer will oder vielmehr wer kann sich ihrer unentgeldlich annehmen? Die Leute hier sind Alle arm, nur einige Wenige ausgenommen.«
    »Vielleicht giebt es eine brave Familie, welche den Kleinen gegen ein Pflegegeld Aufnahme bietet.«
    »Wer sollte das Pflegegeld bezahlen?«
    »Ich, Ehrwürden! Der Weber Hauser ist Ihnen doch wohl bekannt; ich möchte sie am Liebsten ihm anvertrauen!«
    »Hauser ist ein frommer und ehrlicher Christ; er ist sehr

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