Der verlorne Sohn
bestraft. Ist dies bei einem bloßen Thiere der Fall, so habe ich, wenn ich sehe, daß ein Mensch grausam behandelt wird, das doppelte Recht und die erhöhte Verpflichtung, mich um den Fall zu bekümmern.«
Der Künstler, welcher ja eine wahrhaft riesige Gestalt besaß, musterte den Sprecher mit einem höchst verächtlichen Blicke von oben herab und fragte: »Was hat das mit Ihrer Anwesenheit zu thun?«
»Ich befand mich im Gastzimmer und hörte Ihr Gebrüll, nebst den Schlägen, welche fielen.«
»Was geht das Sie an? Wollen Sie etwa auch Prügel haben?«
Der Fremde erwiderte den musternden Blick des Riesen. Er schien irgend etwas Bekanntes in den Zügen desselben entdeckt zu haben.
»Davon kann wohl keine Rede sein,« antwortete er leichthin. »Ich las in dem Blatte Ihre Annonce. Sie heißen Bormann?«
»Geht auch das Sie Etwas an?«
»Hm! Man kann ja fragen. Ob man eine Antwort bekommt, ist freilich abzuwarten. Haben Sie einen Bruder in der Residenz?«
»Ich sage Ihnen, daß Sie sich um andere Dinge bekümmern sollen, als um meine Angelegenheiten!«
»Welchen man den Riesen Bormann nennt?« fuhr der Andere unbeirrt fort.
»Herr!« brauste der Künstler auf. »Packen Sie sich hinaus! Sie haben hier Nichts zu suchen! Verstanden?«
»Meinetwegen! Ich werde gehen, aber sobald ich höre, daß Sie dieses Kind abermals schlagen, komme ich wieder!«
»Donnerwetter! Was dann?«
Seine Augen funkelten. Er trat mit geballten Fäusten und in drohender Haltung auf den Fremden zu.
»Pah!« antwortete dieser ruhig. »Das würden Sie erfahren!«
»Ah! Sie wollen mir drohen? Sie wollen mir Angst machen? Sie? Sie Knirps? Ich werde Ihnen zeigen, ob ich mich vor Ihnen fürchte! Komm her, Junge! Lächle, und mache eine Verbeugung! Aber gut, sonst schlage ich Dir die Knochen aus dem Leibe!«
Seine Frau und die beiden Anderen standen erwartungsvoll in der Nähe. Der Knabe schlich herbei, vor Angst bebend.
»Nun lächle!« gebot der Unmensch.
Das Kind versuchte ein Lächeln. Es gelang nicht zur Zufriedenheit des Riesen. Dieser erhob den Arm mit der Peitsche und rief: »Besser! Ah, will es nicht gehen? Nun, da hast Du es!«
Er holte zum Schlage aus; aber der Fremde that einen raschen Schritt herbei, ergriff seine Faust und sagte:
»Sie werden nicht schlagen!«
Diese Worte klangen nicht zornig, nicht drohend, nicht selbstbewußt. Man hätte sagen können, daß sie fast leise, bittend ausgesprochen worden waren. Der Riese stieß ein lautes, höhnisches Gelächter aus und rief:»Wie? Was? Sie wollen mich hindern? Das ist lustig! Fort mit dem Arme!«
Er wollte die Hand des Fremden abschütteln, aber eigenthümlich, er, der Simson, vermochte das nicht. Die feinen, weißen Finger, welche ihn gepackt hielten, schienen aus Stahl zu sein.
»Verdammt!« schrie er. »Ich frage Sie, ob Sie fort wollen! Sie fallen mich an! Da, haben Sie das dafür!«
Da ihm die Rechte so fest gehalten wurde, holte er mit der linken Faust aus. Er wollte den Fremden auf den Kopf schlagen, stürzte aber in demselben Augenblicke wie ein schwerer, voller Sack zu Boden.
Wie das gekommen war? Was der Fremde gethan hatte? Niemand konnte es sagen. Nur das wußten die anderen Anwesenden, daß er nicht geschlagen hatte. Sie hatten nur gesehen, daß er mit der freien Hand, als der Künstler zuschlagen wollte, eine blitzesschnelle Bewegung an dessen Gesicht vorüber gemacht hatte. Sie standen dabei und wußten nicht, was sie davon denken oder sagen sollten.
»So!« sagte er, indem er sich zu ihnen wendete. »Der hat einstweilen genug. Wagt es einer von Euch, mir nahe zu treten, so geht es ihm ebenso!«
Die Frau blickte auf ihren Mann nieder. Er lag regungslos am Boden. Seine Augen waren geschlossen.
»Gott! Er ist todt!« rief sie.
»Nein,« antwortete der Fremde kaltblütig. »Er wird nach einigen Stunden erwachen, ohne Schaden davon erlitten zu haben. Wem gehört das Kind?«
»Uns.«
»Hm! Ich dachte es bereits einmal gesehen zu haben. Es ist Ihr leibliches Kind?«
»Ja.«
Sie antwortete so aus Furcht vor ihrem Manne. Sie durfte ja Nichts verrathen. Der Fremde blickte ihr forschend in das Gesicht und sagte in warnendem Tone: »Ich sehe es Ihnen an, daß Sie die Unwahrheit sagen! Ich muß dieses Kind schon irgendwo gesehen haben, aber bei Ihnen nicht. Ist es wirklich Ihr eigenes Kind?«
»Ja, gewiß.«
»Und Ihr Mann heißt Bormann?«
»Ja.«
»Ist der Riese Bormann mit ihm verwandt?«
»Er ist sein –«
»Halte das Maul, Alte!« rief ihr da
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