Der verlorne Sohn
wie höchst qualvoll ihm das war. Sein ganzes Körperchen war voller Striemen und Schwielen.
Nach einiger Zeit wirkte die Einreibung aber doch; denn er vergaß für einige Augenblicke die Schmerzen und sagte: »Mich hungert! Ich kann nicht mehr warten.«
Da ging sie hinaus und kehrte mit einer Handvoll gekochter Rübenstückchen zurück. Er verschlang dieselben mit der Gier eines Raubthieres.
»Noch mehr!« bat er.
»Um Gotteswillen! Nein! Erst mußt Du noch turnen!«
Er schrak sichtlich zusammen und fragte:
»Turnen soll ich noch? O Gott!«
»Ja. Heute Abend haben wir Vorstellung vor vornehmen Herrschaften; da wird die hohe Pyramide gemacht, und Du mußt oben darauf.«
»Das ist so hoch! Muß ich da auch Complimente machen?«
»Natürlich!«
»Und lächeln?«
»Ja freilich!«
»O Christus! Was werde ich da vorher wieder für Schläge erhalten!«
Da rief der Director außen:
»Na, seid ihr fertig? Heraus mit dem Jungen!«
Der Kleine erhob sich zitternd vom Boden und eilte trotz seiner malträtirten, schmerzenden Gliederchen so schnell wie möglich hinaus, wo der Herrscher stand, die Hundepeitsche in der Hand.
»Hierher, Kröte! So! Heute Abend trittst Du mit auf; da verlange ich eine zierliche Verbeugung und ein reizendes, glückliches, bezauberndes Lächeln. So ein Kinderlächeln reißt die Zuschauer hin. Kannst Du noch lächeln?«
»Jaaaaa!« stöhnte der Kleine, bereits an allen Gliedern zitternd.
»Gut! So lächle! Eins – zwei – drei! Kreuzmohrendonnerwetter, das soll ein Lächeln sein! Warte, Affenpintsch, Dir werde ich die Fratze zurechthauen!«
Er faßte den Knaben und holte dann mit der Peitsche zum fürchterlichen Schlage aus. Dieser Hieb konnte tödtlich werden. Das Kind hatte viel, o, viel Schläge erhalten, aber so einen fürchterlichen Hieb noch nicht. Es sah und fühlte ihn bereits kommen, und da, da that es vor entsetzlicher Angst gerade das, was es früher bei den Eltern gethan hatte, wenn es in Furcht gerathen war. Der Kleine faltete nämlich die Hände und schrie zeternd: »Christi Blut und Gerechtigkeit ist mein Schmuck und Ehrenkleid. Damit will ich bei Gott bestehn, wenn ich in den Himmel werd’ eingehn. Amen!«
Was war es, was bei diesen Gebetsworten über den riesigen Mann kam? Der Arm mit der Peitsche blieb erhoben; seine Augen starrten in das angstvoll verzogene Antlitz des Kindes hernieder. War es eine Erinnerung aus seiner eigenen Kinderzeit, welche ihn ebenso plötzlich wie gewaltig überkam, so daß er zögerte, mit der dem armen, unglücklichen Kinde zu gedachten unmenschlichen Züchtigung zu beginnen?
»Laß ab!« bat auch die Frau. »Hau ihn doch nicht schon wieder. Sein Leib ist eine einzige Beule! Wenn Du so fort machst, wirst Du ihn noch todtschlagen!«
Das war sehr unklug von ihr gehandelt. Die gute Regung, welche seinen Arm starr gemacht hatte, verließ ihn sofort wieder. Er drehte sich zu der Sprecherin um und schrie: »Weib, was fällt Dir ein! Was hast Du mir zu befehlen? Wer ist hier der Herr und Gebieter? Du oder ich? Ich werde es Dir gleich zeigen! Hier hast Du!«
Er holte aus und schlug sie mit solcher Gewalt über die Achsel, daß sie zusammensank. Wäre sie nicht augenblicklich ein Wenig zurückgewichen, so wäre sie von der Peitsche über Kopf und Gesicht getroffen worden. Dann wendete er sich voll erneuter Wuth wieder zu dem Knaben: »Nun ist Dir Dein Brod erst recht gebacken, Bube! Ich haue Dich, daß die Funken springen!«
Er schlug auf ihn los. Die fürchterlichen Hiebe fielen hageldicht auf den kleinen, unschuldigen Kerl. Dieser weinte nicht; er ahnte oder wußte aus Erfahrung, daß dies den Grimm seines Peinigers nur erhöht haben würde. Aber die Schläge thaten so sehr weh, und die Angst des Kindes war so groß, daß es sich keinen anderen Rath und keine andere Hilfe wußte, als unter jammernder Geberde die kleinen Händchen zu falten und wie im Gebete empor zu heben. In seiner Angst fiel es ihm ein, daß er ein Lied, abermals ein Gebet wisse, welches von Unrecht und von Verzeihung handelte. Es rief also laut und bittend:
»Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe meine Augen zu.
Vater, laß das Auge Dein
Ueber meinem Bette sein!«
»Was? Schlafen will der Balg?« schrie der Mann. »Zu Bette gehen will er? Das werde ich ihm anstreichen!«
Die Hiebe klatschten von Neuem auf das hilflos dieser Roheit anheimgegebene Kind. Es betete, um sich doch vielleicht zu retten, angstvoll weiter.
»Hab ich Unrecht heut gethan,
Sieh es,
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