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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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er errungen hatte.
    Vorhin, als er Eduard verlassen hatte, war dieser in die Stube zu den Seinen zurückgekehrt, um das Mahl fortzusetzen. Sein Vater fragte ihn nicht, was er draußen gewollt hatte. Der alte Weber wußte, daß sein Sohn jetzt irgendein Geheimniß mit sich herumtrug; aber er war auch überzeugt, daß dieses Geheimniß nichts Böses sein werde.
    Eben als das Mal beendet war und die Mutter die Schüsseln und Teller forttrug, hörte man draußen das Schellengeläute von Schlitten, welche vorüberfuhren.
    »Da kommen die Städter!« meinte der Weber.
    »Das Casino!« fügte seine Frau hinzu.
    Bei diesen Worten warf sie einen besorgten Blick auf ihren Sohn, welcher sich Mühe gab, möglichst unbefangen auszuschauen.
    »Wird Engelchen wirklich gehen?« fügte sie hinzu.
    »Das wird Eduard wissen,« sagte der Vater.
    »Sie geht,« antwortete der Sohn.
    »Hast Du mit ihr gesprochen?«
    »Ja.«
    »Auch heute?«
    »Ja. Ich gab ihr gute Worte.«
    »Was antwortete sie?«
    »Ich solle nach der Maskerade mit ihr sprechen.«
    »Die Verblendete! Gott möge sie schützen! Aber wir haben unser Tischgebet vergessen!«
    Er erhob sich, faltete die Hände und sprach, nachdem auch die Anderen aufgestanden waren, das gewöhnliche Gebet. Als er fertig war, wollten sich die Anderen wieder setzen; er aber sagte:»Laßt uns auch für das Kind des Nachbars beten, damit Engelchen nicht von den Versuchungen umstrickt werde, denen sie entgegen geht.«
    Er griff in den Spulkorb seines Arbeitsstuhles, nahm das alte Gesangbuch zur Hand, welches dort stets aufbewahrt wurde, schlug es auf und las:
    »Oft klagt das Herz, wie schwer es sei,
    Den Weg des Herrn zu wandeln,
    Und täglich, seinem Worte treu,
    Zu denken und zu handeln.
    Wahr ist’s: die Tugend kostet Müh;
    Sie ist der Sieg der Lüste;
    Doch richte selbst: Was wäre sie,
    Wenn sie nicht kämpfen müßte?« –
     
    In diesem Augenblicke hörte man, daß draußen die Hausthür geöffnet wurde; der Weber aber fuhr ungestört fort:
    »Des Lasters Bahn ist anfangs zwar
    Ein breiter Weg durch Auen;
    Allein, sein Fortgang bringt Gefahr,
    Sein Ende Nacht und Grauen.
    Der Tugend Pfad ist anfangs steil,
    Läßt nichts als Mühe blicken;
    Doch weiter führet er zum Heil
    Und endlich zum Entzücken!« –
     
    Jetzt war die Stubenthür aufgegangen. Es trat Jemand ein, auf den sich Aller Blicke richteten, nur derjenige des Vaters nicht. Dieser Letztere fuhr vielmehr unbeirrt fort:
    »Lern nur Geschmack am Wort des Herrn
    Und seiner Gnade finden,
    Und übe Dich, getreu und gern,
    Dein Herz zu überwinden!
    Wer Kräfte hat, wird durch Gebrauch
    Von Gott noch mehr bekommen;
    Wer aber nicht hat, dem wird auch
    Das, was er hat, genommen. –
    Gieb Kraft, Gott, da, wo keine ist,
    Gieb Kraft, das Fleisch zu dämpfen!
    Gieb Kraft, wenn Satan’s Macht und List
    Uns schwächen will im Kämpfen!
    Wenn uns die Welt viel Anstoß stellt,
    Gieb Kraft sie zu vernichten!
    So wird in Noth, ja, selbst im Tod,
    Uns Deine Kraft aufrichten!« –
     
    Jetzt erst machte er das Gesangbuch zu und warf einen Blick nach der Stubenthüre. Dort stand – Nachbar Hofmann.
    »Guten Abend!« sagte dieser, aber nicht etwa in einem sehr freundlichen Tone.
    »Guten Abend!« antworteten Alle.
    Selbst die Kleinen, auch die Kinder des todten Schreibers, die sich ja hier in Pflege befanden, stimmten mit ein. Der alte Hauser schob einen Stuhl an den Tisch und sagte: »Setze Dich, Nachbar, und sei uns willkommen!«
    Der Angeredete trat zögernd näher, setzte sich wie Einer, der sofort wieder gehen will, nur auf die eine Hälfte des Sessels und meinte, indem er mit den Augen in die Ecke blickte: »Danke! Ich will nicht incommodiren und werde auch gar nicht lange hier bleiben!«
    »Incommodiren? Wo denkst Du hin! Wie werden Nachbarsleute sich incommodiren können?«
    »O, doch vielleicht! Ich komme nämlich, um zu fragen –«
    Er stockte doch. Er wußte ganz genau, daß der Grund seines Besuches kein sehr nachbarlicher war.
    »Nun? Was willst Du fragen?«
    »Nach dem Holze wollte ich fragen.«
    »Ah, nach den Stückchen Holz, welche Du uns am Sonnabend geborgt hast, Nachbar?«
    »Ja.«
    »Hat meine Frau sie nicht hinübergebracht?«
    »Nein. Es waren acht Stücke.«
    »Also für ungefähr einen Pfennig! Willst Du das Holz haben oder das Geld?«
    »Das Holz ist mir lieber.«
    »So mag es Dir ein Kind hinüberbringen.«
    »Aber bald! Ich brauche das Meinige selbst nothwendig. Noch besser aber ist es, ich nehme es selbst gleich

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