Der verlorne Sohn
antworten.
»Engelchen!«
Auch hierauf hörte sie nicht. Da eilte er ihr nach, ergriff sie am Arme und fragte:
»Sag’ mir das Eine! Wirst Du wirklich zu Seidelmanns ziehen?«
Das hielt sie fest.
»Zu Seidelmanns?« fragte sie schnell. »Was soll ich dort?«
»Eine Stelle sollst Du haben.«
»Als was?«
»Als Stütze der Frau.«
»Und wer hat das gesagt?«
»Dein Vater. Weißt Du nicht, daß er jetzt bei uns war?«
»Nein. Er ist am Nachmittage bei Seidelmanns gewesen und hat Garn zu Schuß und Kette geholt.«
»Da werden sie von dieser Stelle gesprochen haben. Er kam zu uns, holte sich das Holz, welches er uns geborgt hat, und verbot mir, jemals wieder mit Dir zu sprechen.«
»Davon weiß ich wirklich kein Wort.«
»Nun, so weißt Du es jetzt. Also, ich darf nicht mehr mit Dir reden. Dir ist das natürlich recht. Gute Nacht, Engelchen!«
Er wollte gehen. Jetzt aber hielt sie ihn zurück und fragte:
»Hat er das wirklich gesagt, wirklich?«
»Ja.«
»Und Du willst – willst ihm gehorchen?«
»Natürlich! Du willst doch auch nichts mehr von mir wissen!«
»Wer hat das gesagt?«
»Das braucht gar Niemand zu sagen; das bemerke ich schon ohne dieses. Was hast Du hier unter dem Umschlagtuche, Engelchen! Nicht wahr, den italienischen Anzug?«
»Ja,« antwortete sie leise und zögernd.
»Du gehst auf das Maskenfest?«
»Ja; ich kann nicht anders.«
»Und wenn ich Dich nun abermals bitte, zum letzten Male bitte, es nicht zu thun?«
»Der Vater hat’s befohlen!«
»Kann er Dich dazu zwingen?«
»Er ist jetzt so streng, und ich – ich – ich habe mich selbst sogar sehr darauf gefreut. Du darfst nicht zu viel verlangen.«
»Engelchen, ein braves Mädchen geht nur dahin, wohin sie gehört!«
Da hob sie schnell das Köpfchen und sagte:
»Meinst Du etwa, daß ich nicht im Casino verkomme?«
»Warum nicht! Aber Du findest dort Deine Gesellschaft nicht!«
»Wenn sie es nicht ist, so kann sie es noch werden. Gute Nacht!«
Sie eilte fort. Er hatte wieder jenen Punkt berührt, an welchem sie so empfindlich war. Um diese wunde Stelle zu heilen, mußte die Sonde des Schmerzes oder der Enttäuschung angesetzt werden. Engelchen hatte einen Theil des väterlichen Hochmuthes geerbt.
Als sie die Schänke erreichte, zog sie ihre seidene Halbmaske, welche sie mit dem Anzuge erhalten hatte, aus der Tasche und befestigte sie vor das Gesicht. Dann stieg sie die Treppe empor.
Oben an der Thür stand die Magd des Wirtes, um die Ueberkleider in Empfang zu nehmen. Engelchen wurde von ihr nicht erkannt. Sie gab ihr Tuch ab und trat in den Saal.
Es war doch ein eigenes Gefühl, mit welchem sie diesen Schritt that. Fast war es ihr, als ob sie wieder umkehren solle. Es war ihr jetzt beinahe ängstlich zu Muthe. Aber zum Umkehren gab es keine Zeit mehr, denn Aller Augen waren auf sie gerichtet.
In demselben Augenblicke begannen die Musikanten einen flotten Walzer. Eine männliche Maske kam auf Engelchen zu, verbeugte sich und sagte: »Endlich, endlich! Ich habe mit herzlicher Sehnsucht auf Dich gewartet, schöne Italienerin. Bitte, diesen Walzer!«
Er legte den Arm um sie, und sie flog mit ihm durch den Saal. Während sie dann ruhten, nahm er den Arm gar nicht von ihrer Taille. Er flüsterte ihr zu: »Sie ahnen, daß ich es bin, der Sie eingeladen hat?«
»Ja,« nickte sie.
»Sind Sie gern gekommen?«
»Sehr gern!«
»Ihre Eltern haben es erlaubt?«
»Sonst hätte ich ja nicht wagen können, zu kommen!«
»Aber Ihr Bräutigam, Ihr Geliebter?«
Ihr Köpfchen senkte sich. Sie zögerte, zu antworten. Darum wiederholte ihr Tänzer in dringlichem Tone: »Was sagte er?«
»Ich habe keinen!« antwortete sie jetzt.
»Keinen Bräutigam und auch keinen Geliebten?«
»Nein.«
»Wie herrlich! Da engagire ich Sie für den ganzen Abend! Darf ich das? Sind Sie damit einverstanden, Fräulein Hofmann?«
Fräulein Hofmann! Wie vornehm das klang! Welch eine prächtige Maske er trug, und die Ringe an seinen Fingern funkelten! Konnte sie anders antworten, als: »Gern! Sie sind es ja, der mich eingeladen hat!«
»So kommen Sie!«
Wieder ging es zum Tanze, und dann führte er sie an einen Tisch, an welchem Wein und andere Erfrischungen zu haben waren. Sie mußte trinken und von Delicatessen kosten, deren Namen sie nicht kannte, ja, die sie in ihrem Leben noch nicht gesehen hatte.
Dann wurde sie in die Unterhaltung gezogen. Männliche und weibliche Masken kamen, um sie zu necken oder auch ein paar ernste Worte zu sagen.
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