Der verlorne Sohn
Er wird es ihr erzählen, und ich muß es hören! Auf der Straße bleiben sie nicht stehen; da ist es zu kalt. Sie werden in das Haus gehen. Springe ich hinter den Gärten hinab, so komme ich eher und kann mich verstecken. Ich kenne ja das Haus und seine Winkel!«
Er kehrte in den Hausflur der Schänke zurück, ging in den Hof und Garten derselben, sprang über den Zaun und rannte dann hinter den Gärten hinab, bis er die Stelle erreichte, wo Engelchen heute den Schnee fortgekehrt und dabei mit Eduard gesprochen hatte. Er stieg über den Zaun, durcheilte das kleine Gärtchen und trat in den Hof.
Hier lauschte er, ob etwa noch Leben in dem Hause sei. Es war Alles still, und als er dann am Laden horchte, bemerkte er, daß die Eltern des Mädchens schlafen gegangen seien. Einen Hund gab es nicht; er konnte also ohne besondere Besorgniß handeln.
Die Hinterthür hatte eine hölzerne Klinke, welche mittelst einer Schnur von Außen zu öffnen war. Er zog an der Schnur, trat in den Flur, machte die Thür wieder zu und kroch dann in den tiefen Winkel, welcher sich unter der Treppe befand. Hier konnte er Alles hören, was in dem Hausflur gesprochen oder auch nur geflüstert wurde.
Er hatte gar nicht lange gewartet, so hörte er Schritte.
Eduard war mit Engelchen nicht sehr rasch gegangen. Beiden war das Herz so voll, daß sie schweigend neben einander herschritten. Als sie das Haus erreichten, fragte der Bursche: »Hier sind wir angekommen. Nicht wahr, nun muß ich schleunigst gute Nacht sagen?«
Es folgte eine Pause, dann hörte er halblaut:
»Eduard!«
»Was, Engelchen?«
»Du willst mich strafen!«
»Nein. Aber es wird Dir lieb sein, wenn ich nun gehe.«
»Warum?«
»Du bist ja eine reiche, schöne Italienerin, und ich bin blos ein armer Webergeselle.«
»Eduard! Ich bin recht bös mit Dir gewesen! Du darfst nicht im Zorne von mir gehen! Willst Du mir einen Gefallen thun?«
»Welchen«
»Tritt eine Minute mit herein! Hier ist’s so kalt!«
»Wenn Du willst, ja. Aber, Dein Vater?«
»Wir gehen ja nicht in die Stube. Und er wird wohl auch längst schlafen gegangen sein. Komm!«
Sie zog ihn hinter das Haus und an die Thüre, durch welche vor zwei Minuten Seidelmann eingetreten war. Sie öffnete die Thür und flüsterte dabei: »Da neben der Treppe steht heute die Waschbank. Darauf können wir uns setzen. Willst Du, Eduard?«
»Wie Du denkst!«
Das klang immer noch zurückhaltend. Er konnte eben den Gram der letzten Tage nicht gar so schnell vergessen, wie sie es wollte.
Sie nahmen sich in Acht, Geräusch zu machen, und setzten sich auf die Bank, eng neben einander. Sie ahnten nicht, daß sich zwei Schritte von ihnen ein so gefährlicher Lauscher befinde.
»Und nun sage mir, lieber Eduard, wie Du zu der Maskerade gekommen bist!« bat sie leise.
»Davon nachher, Engelchen. Vorher giebt’s etwas Nothwendigeres!«
»Was?«
»Weißt Du, daß ich in den letzten Tagen recht unglücklich war?«
»Ich glaub’s! Ich war schuld! Kannst Du mir vergeben?«
»Gern, wenn Du einsiehst, daß ich Recht gehabt habe!«
»Du hattest Recht, wie immer. Ich kann mich jetzt gar nicht begreifen! Glaubst Du das?«
»Ich glaube es, denn ich begreife es. Dein Vater wollte es haben; das ist das Erste. Der schöne, flimmernde Anzug hatte es Dir angethan; das ist das Zweite. Nicht wahr?«
»Ja, Du hast’s errathen.«
»Aber das Dritte, Engelchen, das ist das Schlimmste!«
»Was ist’s?«
»Fast möchte ich es Dir nicht sagen!«
»Warum nicht?«
»Weil Du mir sonst wieder bös werden möchtest.«
»O nein! Habe keine Sorge! Was ich heute erlebt habe, das ist genug, um mir als gute Lehre zu dienen.«
»Gott segne Dich für dieses Wort, liebes Engelchen! Du machst mir dadurch das Herz sehr leicht. Weißt Du, Dein Vater ist ein guter, ordentlicher und frommer Mann, aber er hat Etwas von dem Pharisäer an sich, welcher Gott dankt, daß er besser ist, als andere Leute. Giebst Du mir da Recht?«
»Es mag sein! Und nun weiß ich auch, was das Dritte ist, von dem Du nicht gern sprechen wolltest.«
»Nun, was denn, mein Engelchen?«
»Ich habe auch gedacht, daß ich besser bin als Du.«
»Ist das denn wahr?«
Sie zögerte einige Augenblicke mit der Antwort, dann sagte sie:
»Wenn ich reden wollte, da müßte ich eine förmliche Beichte ablegen. Das wird Dich nicht interessiren.«
»O doch! Gar sehr!«
»Das kann ich doch nicht glauben.«
»Wieso?«
»Nun, den Seidelmann würde es wohl interessiren, denn er sagte,
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