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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sie?«
    »Es ist jetzt nicht mehr meine Liebe, welche zu Ihnen spricht, sondern mein Wille, mein fester, unerschütterlicher Wille! Sie setzen sich jetzt wieder und bleiben noch eine Viertelstunde hier, bei ausgelöschtem Lichte natürlich!«
    »Was fällt Ihnen ein?«
    »Mir fällt nie Etwas ein, was ich nicht durchführen kann!«
    »Sie wollen mich mit Gewalt zurückhalten?«
    »Ja.«
    »Ich werde um Hilfe rufen!«
    »Das werden Sie nicht!«
    »Ich werde es sicher! Lassen Sie mich vorüber!«
    »Sie bleiben! Und wenn Sie ein einziges Wort reden, welches lauter ist, als ich es wünsche und gestatte, so haben Sie das Unglück Ihrer Eltern auf dem Gewissen!«
    Es kam doch wie eine Art Schreck über sie. Auch abgesehen davon, daß sie ihn ja bereits kannte – wie er so finster und drohend vor ihr stand, mußte sie es ihm ansehen, daß es ihm mit seiner Drohung ernst sei, daß er sie rücksichtslos ausführen werde.
    »Wieso das Unglück meiner Eltern?« fragte sie.
    »Ich werde Ihrem Vater keine Arbeit mehr geben!«
    »Herrgott! Das werden Sie nicht thun!«
    Sie wußte, daß es in der weiten Umgegend keinen Menschen gab, bei dem anderweite Arbeit zu bekommen war.

»O doch, werde ich es thun! Ihr Vater hat heute Kette und Schuß bekommen. Bleiben Sie jetzt nicht hier bei mir, so lasse ich morgen früh Alles wieder holen.«
    »Das wäre teuflisch!«
    »Sie haben es gewollt! Wer meine Liebe von sich stößt, der lernt mich von der entgegengesetzten Seite kennen. Also, entscheiden Sie sich! Wir haben keine Zeit zu verschwenden!«
    Da ballte sich ihr kleines Fäustchen. Sie trat furchtlos hart zu ihm heran und fragte:
    »Also, Sie werden dem Vater wirklich keine Arbeit geben?«
    »Nein.«
    »Nun, so wird der liebe Gott für uns sorgen! Sie sind ein Bösewicht, und ich will lieber verhungern, verschmachten und erfrieren, ehe ich mich von Ihnen ernähren lasse!«
    »Ah! Sie spielen die Heldin! Aber ich weiß, woher das kommt. Sie leugnen zwar, einen Geliebten zu haben, aber der Hauser, der Nichtsnutz, steckt Ihnen doch im Kopfe. Das giebt ein sauberes Paar!«
    Diese Worte waren im Tone der tiefsten Verachtung gesprochen. Das empörte Engelchen und trieb sie zu dem tapferen Geständnisse: »Ich habe nicht nöthig, dem ersten Besten zu sagen, ob ich einen Geliebten habe oder nicht. Hauser’s Eduard ist ein ganzer Kerl; er ist tausendmal mehr werth als Sie. Ich habe ihn beleidigt und gekränkt, weil ich noch gar nicht wußte, wie lieb ich ihn habe. Jetzt aber, da ich Sie vor mir sehe, fühle ich erst, daß ich zu ihm gehöre wie der Tag zur Woche und wie die Erde zur Sonne. Ich werde nicht von ihm lassen. Gehen Sie! Lassen Sie mich vorüber! Und nehmen Sie meinem Vater die Arbeit, so ist das doch noch nicht so schlimm, als wenn ich mir Das von Ihnen nehmen lasse, was mir höher steht, als all Ihr Reichthum – meine Ehre!«
    Sie streckte ihre Arme aus, um ihn bei Seite zu schieben. Da aber umfaßte er sie schnell und rief: »Unsinn! Hier bleibst Du! Mein mußt Du werden, und wenn Du wie eine Löwin nach Hilfe brüllen solltest!«
    Sie brauchte gar nicht nach Hilfe zu rufen, denn diese stand bereits vor ihr: Eduard hatte sein Versteck verlassen, war rasch hinzugetreten, legte Seidelmann die Hand auf den Arm und befahl: »Weg von ihr!«
    Seidelmann blickte ihn bestürzt an.
    »Strauch! Alle Teufel! Was fällt Dir ein?«
    »Weg von ihr!« gebot abermals der vermeintliche Kaufmann.
    »Aber, Mensch, ich begreife Dich nicht!«
    Er hielt Engelchen, welche über das Erscheinen eines Zweiten so bestürzt war, daß sie sich gar nicht rührte, noch immer in den Armen. Da aber faßte ihn Eduard bei der Brust, holte mit der anderen Hand aus und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
    »Herr Jesus!« rief Engelchen erschrocken. Die Ohrfeige hatte ihr die Beweglichkeit wiedergegeben.
    Seidelmann ließ die Arme von dem Mädchen, fuhr sich mit den Händen nach der getroffenen Wange und brüllte:
    »Kreuzdonnerwetter! Das ist zu arg! Bist Du etwa verrückt geworden, Mensch?«
    »Verrückt nicht, aber ein Anderer bin ich geworden! Sehen Sie her!«
    Eduard nahm die Maske vom Gesichte.
    »Eduard!« rief das glückliche Mädchen. »Du hier? O, Gott sei Dank! Jetzt bin ich sicher und gerettet!«
    Seidelmann starrte den Weberssohn an, als ob er ein Gespenst vor sich stehen sehe. Dann stürzte er sich mit einem wahrhaft brüllenden Schrei auf ihn.
    Eduard hatte das erwartet. Er hatte das Mädchen an seiner Brust, wendete sich deshalb mit ihr halb

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