Der verlorne Sohn
zur Seite, holte mit der rechten Faust aus und empfing Seidelmann mit einem solchen Faustschlage in’s Gesicht, daß dieser zurücktaumelte und zu Boden stürzte. Er war dem Kaufmanne an Körperkraft überlegen.
»Komm, Engelchen, laß uns gehen!«
Bei diesen Worten schritt er mit ihr nach der Thür. Da aber schnellte sich Seidelmann empor, faßte ihn am Arme und rief:»Halt, Bube! Nicht von der Stelle! Erst sollst Du gestehen, wie Du herein gekommen bist!«
Eduard bewahrte seine Kaltblütigkeit. Er antwortete:
»Frag’ nicht so albern, dummer Mensch! Du selbst hast mich ja hergeschickt und mir den Schlüssel gegeben!«
»Wie kommst Du nach dem Saale?«
»Durch die Thür.«
»Wie darfst Du es wagen, Dich für Strauch auszugeben?«
»Wer kann sagen, daß ich das gethan habe? Du hast mit mir gesprochen und mit mir gewettet. Ich habe die Wette gewonnen. Morgen Abend werde ich nach den fünfzig Gulden schicken. Nun aber die Hand von meinem Arme, sonst kommt noch etwas Gepfeffertes!«
Seidelmann vermochte den Hergang der Sache nicht zu begreifen; aber er sah, daß er der Betrogene, der Blamirte sei. Das verdoppelte seinen Grimm über den mißlungenen Anschlag. Er versuchte es, Eduard zu schütteln und rief dabei: »Du hast Dich ohne Erlaubniß in unsere Gesellschaft eingeschlichen! Vorwärts! Hinüber in den Saal! Wir werden Rechenschaft fordern!«
»Mach Dich nicht lächerlich, alter Fritze! Ihr habt mein Mädchen eingeladen, und zum Mädchen gehört auch stets der Bursche; das ist eine alte Sache! Gehe Du in den Saal, wir aber gehen nach Hause!«
»Das wird sich finden! Fort! Hinüber!«
»Laß los, sage ich!«
Und, als auch jetzt Seidelmann die Hände nicht von ihm nahm, ließ er Engelchen für einen Augenblick fahren, faßte den Wüthenden mit Gedankenschnelle und warf ihn zu Boden, daß Alles krachte.
»Komm, Engelchen! Jetzt hat er genug!«
Er nahm das Mädchen beim Arme, zog den Riegel zurück und trat hinaus.
Im Saale war eine Musikpause eingetreten, und so hatte man die lauten Stimmen gehört. Mehrere Masken traten heraus auf den Gang. Sie erblickten die Beiden; sie kannten Eduard nicht, und Einer fragte, ganz verblüfft: »Was ist denn los? Wer zankt sich da?«
»Der Teufel ist los! Da drinnen steckt er!« antwortete Eduard, nach der offenen Thür hinter sich deutend.
Und während die Neugierigen in das Zimmerchen traten, nahm er Engelchen’s Tuch vom Tische und sagte:
»Komm, hülle Dich ein! Wir wollen machen, daß wir fortkommen, sonst wird es noch schlimmer, als es gewesen ist.«
Sie folgte seiner Aufforderung. Als sie eben die Treppe hinabstiegen, ertönte hinter ihnen ein lautes Brüllen: »Haltet sie auf! Haltet sie auf! Der Kerl muß seine Keule kriegen, fürchterliche Keule!«
Seidelmann war es, welcher sich mittlerweile vom Boden aufgerafft hatte und ihnen nacheilte.
»Schnell, schnell!« bat Eduard. »Daß wir nur wenigstens in’s Freie kommen. Dann läufst Du voraus, und ich nehme ihn auf mich. Das soll ihm gut bekommen!«
Als sie durch den Hausflur eilten, befand Seidelmann sich nur noch einige Schritte hinter ihnen. Da öffnete sich die Thür des Gastzimmers, und ein Mann trat heraus, welcher die Situation im Momente überschaute.
»Halt!« sagte er. »Bleiben Sie!«
Dabei ergriff er Seidelmann am Arme und schleuderte ihn mit solcher Gewalt zurück, daß er wieder bis zur Treppe flog und dort niederstürzte. Er war ein Fremder. Selbst Eduard, welcher zurückgeblickt und den blitzesschnellen Vorgang beobachtet hatte, kannte ihn nicht. Der Bursche entfernte sich mit seinem Mädchen.
Seidelmann raffte sich auf und wollte sich auf den Fremden stürzen. Dieser aber hatte eine so kampfbereite, drohende Haltung angenommen, daß es keineswegs gerathen schien, mit ihm anzubinden. Ueberdies kam dem Kaufmann ein Gedanke, dessen Ausführung keine Versäumniß duldete. Er wendete sich also ab und eilte die Treppe empor.
Droben standen die Mitglieder der Gesellschaft.
»Was war es?« rief der Eine.
»Was hat’s denn gegeben?« fragte der Andere.
»Prügelei! Das ist stark! Weshalb aber?« rief der Dritte.
»Wartet bis nachher, bis ich wiederkomme!« antwortete er.
Dabei riß er seinen Ueberrock vom Tische, zog ihn ab und eilte wieder die Treppe hinab und auf die Gasse hinaus.
Der Fremde unten war verschwunden. Das Liebespaar aber war im Lichte des Schnees von Weitem noch zu erkennen.
»Er führt sie nach Hause!« knirschte Seidelmann für sich. »Wie ist das Alles gekommen?
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