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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gehalt!«
    »Hundert Gulden? Das ist viel!«
    »Und von mir erhalten Sie heimlich noch eben so viel!«
    Ihre Augen richteten sich groß und erschrocken auf ihn. Sie fragte:
    »Von Ihnen? Wozu?«
    »Hm! Für eine Kleinigkeit. Eben, weil ich Sie liebe!«
    »Was meinen Sie mit dieser Kleinigkeit?«
    »Ich hege den Herzenswunsch, daß Sie meine Frau werden möchten. Dieser Wunsch kann leider jetzt noch nicht in Erfüllung gehen, da Vater und Mutter noch nichts davon wissen dürfen. Auch kennen wir Beide uns noch zuwenig. Damit wir uns nun einander ohne Aufsehen nähern können, sollen Sie eben zu uns ziehen. Abends, wenn Sie schlafen gehen, würde ich Sie dann bitten, zuweilen Ihre Thür nicht zu verschließen.«
    Ihr Auge flammte auf, und Ihr Busen hob und senkte sich unter der Empfindung des Abscheus, welchen sie in diesem Augenblicke nicht zu überwältigen vermochte. Dies machte sie begehrenswerther, als sie so bereits war. Er sah es; er legte die Arme um sie, wollte sie an sich ziehen und fragte: »Nicht wahr, Engelchen, Sie willigen ein?«
    Sie aber stieß ihn mit einer Gewalt, die er ihr gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:»Ah! Das also ist Ihre Absicht! Ich würde wohl die Kammer bekommen, in welcher Gustel Beyer geschlafen hat?«
    »Ja. Diese Kammer liegt so abgelegen und bequem.«
    »Und dort soll ich Sie des Nachts einlassen?«
    »Ja, meine Seele!«
    »Für zweihundert Gulden jährlich?«
    »Für zweihundert Gulden und viele Geschenke obendrein!«
    »Nicht für zwei Millionen, Herr Seidelmann!«
    Ihr Gesicht drückte jetzt den ganzen Abscheu aus, den sie vor ihm und seinem Antrage empfand. Er bemerkte das, fuhr betreten zurück und fragte im Tone des Erstaunens: »Wieso? Ich begreife Sie nicht!«
    »O, das ist sehr leicht zu begreifen! Soll ich etwa dasselbe Schicksal erleiden, wie Beyer’s Gustel?«
    »Wo denken Sie hin!«
    »Die hat Sie eingelassen!«
    »Das hat sie gelogen!«
    »Sie haben ihr auch Geschenke gemacht, welche sie dann gestohlen haben soll.«
    »Auch das ist Lüge!«
    »Jetzt nun sitzt sie im Gefängniß! Vater und Mutter sind todt! Warum? Wer ist der Mörder?«
    »Sie sprechen wahrhaftig in Räthseln! Glauben Sie doch, daß ich Sie liebe und daß ich Sie glücklich machen will!«
    »Ich verzichte auf dieses Glück!«
    Sie erhob sich von ihrem Sitze, und er that dasselbe. Er wußte, daß diese so unerwartete Scene einen Zeugen hatte. Sollte er die Wette verlieren und bezahlen? Auf die fünfzig Gulden wäre es ihm schließlich nicht angekommen; aber Engelchen war gerade in ihrem Zorne so schön, so entzückend, daß seine Begierde, sie zu besitzen, sich verdoppelte. Er beschloß, sie sich jetzt auf keinen Fall entgehen zu lassen.
    Sie standen vor einander, sie mit zornigen und er mit lüstern glühenden Augen. Er stand so, daß sie nicht an ihm vorüber konnte. Sie befand sich, wie er meinte, in seiner Hand.
    »Sie verzichten?« sagte er. »Sie wissen nicht, was Sie thun!«
    »Ich weiß es im Gegentheil sehr genau!«
    »Wissen Sie, was es heißt, meine Frau zu sein? Hunderte, ja, Tausende sehnen sich, es zu werden!«
    »Heirathen Sie diese Tausend, oder vielmehr, betrügen Sie sie! Sie wollen nicht eine Frau, sondern eine Geliebte!«
    »Pah! Und wenn das wäre, so bezahle ich gut!«
    »Ja, mit dem Gefängnisse! Sie haben mich hierher gelockt, um mich ins Unglück zu stürzen:; aber das wird Ihnen nicht gelingen! Ich hasse, ich verachte, ich verabscheue Sie!«
    Da nahmen seine Züge plötzlich den Ausdruck eisiger Kälte an. Er bohrte sein Auge herausfordernd in das ihrige und sagte: »Das ist mir gleichgiltig, denn Ihr Haß wird mir doch das gewähren müssen, was ich mir von Ihrer Liebe vergeblich erbat!«
    »Da täuschen Sie sich! Lassen Sie mich fort!«
    »Bleiben Sie noch eine Minute! Ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu sprechen, ein kleines Wort zwar, aber doch ein sehr folgeschweres. Also, Sie hassen mich wirklich?«
    »Ja.«
    Ihr Gesicht war bei diesem Worte ein solches, daß er sehen mußte, wie sehr sie die Wahrheit redete.
    »Und Sie wollen nicht zu mir ziehen?«
    »Auf keinen Fall!«
    »Nun gut, so will ich darauf verzichten. Aber auf die Erfüllung eines anderen Wunsches werde ich nicht verzichten. Ich habe Sie für heute eingeladen; Sie sind meine Dame; Sie gehören mir. Ich will meinen Lohn haben!«
    Sie verstand ihn vollständig, und dennoch fühlte sie weder Furcht noch Angst. Sie blickte ihn ruhig und überlegen an und sagte: »Welchen Lohn meinen

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