Der verlorne Sohn
mußte bereits das letzte Mal tief gedehmüthigt das Local verlassen.«
»Aber dennoch noch einmal! Bitte, bitte! Mir zu Liebe!«
Er blickte auf sie nieder, sah in ihre thränenumflorten, flehenden Augen und konnte nicht widerstehen.
»Nicht wahr, liebe Marie, auch Du hast recht großen Hunger?« fragte er.
»Du nicht?«
»Sehr, sehr!«
»Und ich auch,« gestand sie.
Dabei legte sie ihr Köpfchen an seine Brust und weinte bitterlich, so bitterlich, wie er es gar nicht für möglich gehalten hätte, daß ein Mensch weinen könne. Er zog sie an sich, küßte ihr die Thränen von den Augen und sagte:
»Sei ruhig, Marie! Du sollst essen, Du und Ihr alle. Ich gehe zum Buchhändler.«
»Und wenn er Dich wieder fortschickt?«
»Nun, ich nehme die Kette mit. Brod muß ich bringen. Erhalte ich dort nichts, so gehe ich doch noch zum Pfandleiher.«
»So thue es, o Gott, es ist das Einzige, was Du besitzest. Wenn die Kleinen es doch bis morgen aushalten könnten, wo wir dann Geld haben! Aber es geht nicht! Und der arme Vater hat auch nichts, weder Medizin noch Essen.«
»Du siehst also ein, daß ich unbedingt Rath schaffen muß!«
»Ja. Aber verleihe die Kette nur nicht zu theuer, sonst wird uns das Einlösen zu schwer.«
»Keine Sorge! Diese Juden geben selbst gern wenig!«
Er öffnete den Koffer. Dieser enthielt einige Wäschestücke. Dabei lag ein kleines Kästchen, in welchem sich der Gegenstand ihrer Sorge und zugleich ihrer Hoffnung befand. Es war ein dünnes, außerordentlich minutios gehaltenes Halskettchen von altmodischer Arbeit. In der Mitte hing ein Herz mit einer Freiherrnkrone und den drei Buchstaben
R.v.H.
Aber was verstand Robert von Heraldik und von dem Unterschied der Kronen!
Er steckte das Kästchen zu sich, setzte ein dünnes, abgeschabtes Studentenmützchen auf und ging.
»Holst Du Brod? Bring recht viel!« riefen ihm die kleinen Geschwister nach.
Drunten packte ihn die Kälte mit grimmigen Armen. Er hüllte sich so viel wie möglich in sein kurzes Röckchen und schlug einen Trab an, um sich möglichst zu erwärmen. Durch Gäßchens, Gassen und Straßen kam er und endlich an einen offenen Platz, welcher voller Buden stand. Die Häuser, welche ihn umgaben, waren wahre Paläste. Laden glänzte da an Laden. Er schritt zaghaft auf einen derselben zu. Der Inhaber desselben war ein Kunst-und Verlagshändler.
Die hohen, breiten Fenster waren mit werthvollen Gemälden und Kupferstichen belegt, und dazwischen erblickte man die hervorragendsten Erzeugnisse der Literatur.
Trotz seines Hungers hätte Robert es doch vielleicht nicht gewagt, in den glänzenden Laden zu treten; aber da fiel sein Blick auf einen ausliegenden Saffianband, auf welchem ebenso zu lesen war »Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder. Gedichte von Hadschi Omanah«. Das gab ihm Muth. Er öffnete die Thür und trat ein.
Der Laden war voller Menschen. Der mehr als anspruchslos gekleidete Jüngling wurde zunächst gar nicht bemerkt; endlich aber fragte einer der Diener, was er wünsche, und er antwortete, daß er mit dem Prinzipale zu sprechen begehre. Dieser befand sich im Hintergrunde des Ladens und kam herbei.
Als er Robert erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht.
»Was wünschen Sie, Herr Bertram?« fragte er von oben herab.
»Ich befinde mich in einer Lage, welche mir gebietet, meine Bitte nochmals zu wiederholen.«
»Welche Bitte war das?«
»Ich leide buchstäblich Hunger, mein Herr. Ich bin kein Bettler; aber ich möchte Sie doch fragen, ob mein Werk Ihnen nicht so viel trägt, daß Sie sich zu einem kleinen Nachtrage zum Honorar verstehen könnten.«
»Ganz und gar nicht! Ihr Werk bringt mir gar nichts ein. Bis jetzt habe ich nur zugesetzt. Wieviel zahlte ich Ihnen für das Manuscript?«
»Zwanzig Thaler.«
»Nun sehen Sie! Das ist mehr als reichlich für die Gedichtssammlung eines Anfängers. Das Honorar ist dennoch das Wenigste, was man zahlt. Papier, Druck, Satz und Anderes, das läuft sogleich in die Tausende. Haben Sie nicht einen zweiten Band?«
»Oh, wie gern würde ich ihn liefern! Aber ich muß nach Brod arbeiten, nach dem trockenen Brode! Hätte ich einen kleinen Zuschuß zum ersten oder Vorschuß zum zweiten Bande, so würde mir das Schreiben wenigstens nicht zu einer so absoluten Unmöglichkeit wie jetzt.«
»Junger Mann, das Genie verkommt im Glück. Nur im Ringen, im Kampfe mit dem Leben erstarkt es und kommt zu Kräften. Ich kenne das; ich habe mit so sehr viel Talenten und Genies zu thun. Wollte
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