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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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abnehmen wollte.
    Das war ein Bild von einem Jungen. Ein fremder Herr, der ihn – scheinbar zufällig – gesehen hatte, war ganz närrisch auf ihn gewesen. Die Eltern konnten sich nicht von ihm trennen.
    In letzter Zeit war die Noth so groß geworden, daß der Mann sich hingesetzt und Hampelmänner geschnitzt hatte, welche sein ältestes Töchterchen auf dem Christmarkte verkaufen sollte. Heute nun saßen sie und lauerten mit Schmerzen auf die Heimkehr der Kleinen. Ein paar Pfennige brachte sie doch wohl mit!
    Da endlich ging die Thür auf, und sie kam; aber hinter ihr erschien die Gestalt eines Polizisten. Die Eltern erschraken, und die Kinder versteckten sich.
    »Wohnt hier der Holzhacker Schubert?« fragte der Polizist.
    »Ja,« wurde ihm geantwortet.
    »Dieses Mädchen ist Eure Tochter?«
    »Ja, meine Älteste.«
    »Ihr habt sie auf den Markt betteln geschickt!«
    »Nein, Herr. Das ist mir nicht eingefallen! Sie hat nur einige Hampelmänner verkaufen sollen.«
    »Das macht doch nur uns nicht weiß! Sie hat gebettelt; sie muß da eine ungeheure Gewandtheit besitzen, denn sie hat volle drei Thaler zusammengefochten. Darum wurde sie arretirt. Das Geld und die famosen Hampelmänner sind natürlich confiscirt worden. Die kleine Landstreicherin, die übrigens ganz frech geleugnet hat, daß sie betteln kann, bringe ich Euch hiermit; die Strafverfügung aber erhaltet Ihr morgen.«
    Er entfernte sich. Die Eltern hatten ihm gar nicht zu antworten vermocht, so starr waren sie vor Schreck und Erstaunen. Sie fragten das Kind, welches weinend Alles erzählte. Sie hätten gern die Karte gehabt, auf weicher der Name der Wohlthäterin gestanden hatte, aber die war dem Kinde, als es von dem Polizisten so scharf angeredet wurde, aus der Hand gefallen.
    Da trat Herr Seidelmann ein. Er grüßte nach seiner Weise und sagte dann im Tone des Beileides:
    »Ich begegnete einem Polizisten, welcher bei Euch gewesen ist. Was ist denn geschehen?«
    Der Holzhacker erzählte ihm Alles.
    »Das habt Ihr davon,« meinte der Fromme, »daß Ihr den Rath Eures Seelsorgers verachtet. Hättet Ihr mir den Knaben überlassen. Der Künstler, welcher ihn wieder zu einem Künstler erziehen wollte, hätte Euch zehn Thaler geschenkt, und Ihr hättet nicht nöthig gehabt, das Mädchen auf den Markt zu schicken.«
    »Zehn Thaler?« fragte die Waschfrau. »Höre, Mann!«
    »Zehn Thaler?« wiederholte der Holzhacker. »Davon haben Sie uns gar nichts gesagt!«
    »So habt Ihr es überhört. Nun kommt morgen die Polizeistrafe, die Ihr zahlen müßt, wenn Ihr nicht sofort ausgepfändet werden wollt, der Miethzins dazu – hm!«
    Er griff in die Tasche, zog eine Zuckerdüte hervor und gab sie dem hübschen, kräftig gebauten Knaben, welcher wohl vier Jahre alt sein mochte.
    »Das ist von dem Onkel, der Dich so lieb hat!« sagte er dabei. »Möchtest Du einmal zu ihm kommen?«
    »Ja,« antwortete natürlich der Junge, indem er ein Stück des Inhaltes in den Mund schob.
    »Nun, was sagt Ihr dazu?«
    Die Eltern blickten einander fragend an. Kein Brod, kein Holz, keine Kohlen, morgen Hauszins und Polizeistrafe! Das Kind zu einem großen Künstler, bei dem es jedenfalls besser aufgehoben war als bei ihnen! Und dagegen zehn blanke Thaler!
    »Was denkst Du, Frau?« fragte der Mann.
    »Mach’, was Du willst!«
    »Herr Seidelmann, wann würden wir das Geld bekommen?«
    »Sogleich!«
    »Wann wird der Junge geholt?«
    »Noch heute Abend. Ich schicke mein Dienstmädchen her.«
    »Na, dann in Gottes Namen. Der Junge ist uns zwar an’s Herz gewachsen, aber die Noth ist groß; er wird nicht länger zu hungern brauchen, und ich bin ja überzeugt, daß Sie uns nur einen Rath geben, der gut ist. Es kann zu seinem Glücke sein, und unser Kind bleibt er doch!«
    »Das ist sehr verständig von Euch gedacht, und ich danke Gott, daß er Euer Herz zu diesem Entschlusse gelenkt hat. Schreiben können Sie doch, Schubert?«
    »Leidlich.«
    »Das ist gut. Ich werde dem Mädchen einen Revers mitgeben, welchen Sie unterschreiben müssen. Das Kind muß doch eine Legimitation haben. Hier ist das Geld.«
    Er bezahlte die zehn Thaler und ging, von den Segenswünschen der Eltern begleitet. Auf der Gasse angekommen, eilte er sogleich zur nächsten Droschkenstation und fuhr – nach dem Circus, dessen Besitzer zufälliger Weise auch sofort zu sprechen war.
    »Nun,« fragte dieser. »Haben Sie es den Leuten vorgestellt, Herr Seidelmann?«
    »Ja, aber sie bedenken sich noch immer.«
    »Was giebt es da

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