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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Diener entgegen, welche ihm Hut und Pelz abnahmen. Als sie den Pelz erblickten, machten sie Gesichter, in denen sich das Erstaunen mit der tiefsten Ehrerbietung paarte. Es war ein Zobelpelz, wie ihn kaum der russische Czar kostbarer tragen kann.
    »Wen befehlen der Herr, zu melden?« fragte der eine der Domestiken.
    »Fürst von Befour.«
    Im nächsten Augenblick erschallte der Name in den Saal, und die Augen aller dort Anwesenden flogen nach der Thür.
    Also, er kam doch, der räthselhafte Mann! Da brauchte man nicht bang zu sein, daß das Räthsel gelöst sein werde.
    Der Herr des Hauses eilte ihm entgegen, um ihn zu seiner Dame zu bringen. Natürlich fand sich auch sofort die Tochter der Beiden ein. Es war das Diejenige, von welcher Helfenstein mit seiner Frau gesprochen hatte.
    Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.
    Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen umsomehr von dem Anderen ab.
    Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich Alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Munde zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch Alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrumente nöthigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Munde folgendes Lied:
     
    »Es glänzt der helle Thränenthau
    In Deinem Aug’, dem todesmatten;
    Du sehnst Dich nach des Himmels Blau
    Hinaus aus düstrem Waldesschatten.
    Es rauscht der Bach am Felsenspalt
    Sein melancholisch Lied:
    Hier ist’s so eng, hier ist’s so kalt,
    Wo nie der Nebel flieht!
    Du meine süße Himmelslust
    O traure nicht, und laß das Weinen!
    Dir soll ja stets an treuer Brust
    Die Sonne meiner Liebe scheinen.
    Drum schließe Deine Augen zu,
    Worin die Thränen glühn;
    Ja, meine wilde Rose, Du
    Sollst nicht im Wald verblühn!«
     
    War der Text, den er bei ihrer ausgezeichneten Aussprache Wort für Wort genau verstehen konnte, schon an sich in Beziehung sowohl auf Gedankeninhalt als auch auf den Ausdruck ein dichterisches Meisterwerk, so fühlte sich der Fürst am Schlusse des Vortrages von der innigen, seelenvollen und doch resoluten Composition tief ergriffen. Fanny von Hellenbach hatte eine tiefe, kräftige Altstimme, welcher aber doch die Wiedergabe contemplativer Gefühle geläufig war. Ihre Stimme war der Vox humana der Orgel ähnlich, wenn sie vollständig rein und ohne jenes Streichen getroffen ist, welches die Viola di Gamba in höherem Maße zu besitzen pflegt.
    Sie wies den stürmischen Applaus durch eine Verbeugung von sich ab und zog sich dann nach einem Weilchen in ein Nebenzimmer zurück.
    Diese Fanny war ein Mädchen von seltenen und ebenso glänzenden Eigenschaften. Der Fürst fühlte das Verlangen, sie kennen zu lernen, erhob sich von seinem einsamen Platze und folgte ihr, was bei der Versammlung nicht wenig Erregung hervorrief.
    Sie stand an einem Fenster und blickte durch die von der Wärme des Zimmers abgethauten Scheiben in die schneehelle Nacht hinaus. Dieses Fenster ging nach hinten in den Hof. Hinter dem Letzteren schien ein Garten zu liegen, und dann stiegen hohe Häuser, welche zur Wasserstraße gehörten, dunkel empor, die weitere Aussicht verschließend.
    Als sie Schritte hinter sich vernahm und, sich herumdrehend, den Fürsten erblickte, erröthete sie, ein Wenig vor Freude und auch ein Wenig vor Bangigkeit. Daß er, der sich von den Anderen zurückgezogen hatte, in so auffälliger Weise sie aufsuchte, war ohne Zweifel eine Auszeichnung für sie. Aber würde sie mit ihren gesellschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen auch vor ihm bestehen können?
    So fragte sie sich.
    Der Fürst war ein wunderbar schöner Mann. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre

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