Der verlorne Sohn
Sorge!«
»Kann ich nicht einstweilen warten wo anders?«
»Es ist hier für uns am Bequemsten. Also, treten Sie ein!«
»Oder, soll ich etwa sein ein Gefangener?«
»Sie sind sistirt!«
»Sistirt? Welch ein Wort ist das? Was hat es zu bedeuten?«
»Denken Sie darüber hier in der Zelle nach!«
Er wurde hineingeschoben, und dann klirrten die Riegel vor. Er stieß einen lauten, unartikulirten Schrei aus und sank auf die Pritsche, um sich mit beiden Händen das Haar zu raufen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es war nachts, kurz vor zwölf Uhr. Es schneite, und die Flocken fielen so dicht hernieder, daß der Schein der Gaslaternen nicht sehr weit zu dringen vermochte. Zwei Männer kamen die Straße, in welcher der Agent Bauer wohnte, heraufgeschritten. An der hinteren Seite des Helfenstein’schen Palais blieben sie stehen und blickten nach der Wohnung des Agenten empor.
»Was ist das?« fragte der Eine, welcher kein Anderer war als Adolf, der Geheimpolizist. »Zwei Lichte!«
»Das ist wohl noch nicht dagewesen?« fragte der Andere.
»Nein, Durchlaucht.«
»Natürlich hat es etwas zu bedeuten.«
»Aber was?«
»Das müssen wir zu erfahren suchen. Also ein Spiegel des Tages oder ein Licht des Abends ist für den Hauptmann das Zeichen, daß der Agent ihn sprechen will. Was wird –«
Er hielt inne. Ein Mann war näher gekommen, passirte an ihnen vorüber, hielt den Blick empor zu den beiden am Fenster brennenden Lichtern gerichtet und sagte halblaut: »Auch Einer!«
Dann ging er, ohne sich umzusehen, weiter.
»Was wollte dieser?« meinte Adolf.
»Hm! Sonderbar! Sollte das etwa gar zu bedeuten haben: Ich bin auch Einer?«
»Möglich.«
»Dann gehörte er zur Bande des Hauptmanns.«
»Und das Wort ist vielleicht ein Erkennungszeichen.«
»Wäre dies der Fall, so hätten wir eine recht gute Entdeckung gemacht. Ah, da kommt wieder Jemand.«
Eine zweite Gestalt tauchte aus dem bewegten Schleier des Schneegestöbers auf, kam näher und sagte im Vorüberschreiten und auch mit halblauter Stimme: »Auch Einer.«
»Es ist so!« flüsterte der Fürst. »Die zwei Lichter sind wohl das Versammlungszeichen. Ich muß diesem Kerl nach. Du hast Deine Instruction. Mach keine Fehler!«
»Keine Sorge, Durchlaucht!«
Der Fürst eilte fort, und Adolf schritt in der entgegengesetzten Richtung dahin. Als er die ihm von dem emeritirten Cantor angegebene Stelle erreichte, begann er langsam auf und ab zu patrouilliren.
Da schlug es Zwölf. Er strich mit dem Stocke, welchen er bis jetzt hoch getragen hatte, laut über das Pflaster hin und pfiff die Melodie des
Gaudeamus igitur
so laut, daß es auf ziemliche Entfernung hin zu hören war.
Sofort bemerkte sein scharfes Auge, daß sich eine Gestalt von der nächsten Ecke löste und auf ihn zukam. Er schritt in der nachlässigen Haltung eines Müßiggängers dahin. Der Andere that, als ob er an ihm vorüber wolle, blieb aber halten und sagte: »Wallner, Du hier? Ah, fast wäre ich an Dir vorübergeschritten, ohne Dich zu kennen. Ist’s denn heute mit dem Billard bereits zu Ende? Ich wollte eben kommen.«
Adolf wußte, daß dies nur fingirt war. Er antwortete:
»Verzeihung! Sie scheinen mich zu verkennen!«
»Verkennen? Unsinn!«
»O doch! Ich bin nicht Der, den Sie meinen.«
»Nicht Wallner?«
Der Andere trat ganz nahe an ihn heran, blickte ihm in das Gesicht und sagte dann:
»Donnerwetter! Wirklich, Sie sind es nicht. Verzeihen Sie, aber Sie haben wirklich eine außerordentliche Ähnlichkeit mit meinem Freunde. Ganz seine Gestalt und ganz sein Lieblingslied, welches er für gewöhnlich pfeift. Darf ich vielleicht erfahren, wer es ist, der eine solche Ähnlichkeit mit ihm besitzt?«
»Warum nicht? Ich heiße Leonhardt und bin Diener.«
»Bei wem?«
»Bei der Tänzerin Miß Ellen Starton.«
»Bei der Amerikanerin? Ah, das ist interessant, höchst interessant. Ich bin nämlich auch Balletist. Ich muß mich für Ihre Herrin also sehr interessiren. Darf ich fragen, in welcher Absicht Sie jetzt ausgehen?«
»Ich habe die Absicht, ein wenig zu kneipen.«
»Wo gedenken Sie einzukehren?«
»Irgendwo. Ich bin hier noch fremd.«
»Ah, schön! Darf ich mich Ihnen anschließen?«
»Warum nicht, da Sie Tänzer sind.«
»Ich weiß ein hübsches Restaurant, wo man sich um diese Zeit verteufelt behaglich fühlen kann. Ich empfehle es Ihnen.«
»Danke. Wollen wir hin?«
»Wenn es Ihnen recht
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