Der verlorne Sohn
sagen, daß auch Sie verloren sind, wenn Sie sich ihrer nicht annehmen. Es braut sich ein Wetter über sie zusammen, dessen Ausbruch Sie nur verhindern können, wenn Sie die Wolf’s befreien. Sie könnten Ihnen dann sagen, was sie während ihrer Verhöre erfahren und gehört haben.«
»Hm! Also heraus wollen sie! Was wollen sie denn dann anfangen? Sie sind ja vogelfrei!«
»Sie wollen nach Amerika.«
»Das geht nicht so schnell. Die Hauptsache aber ist, ob überhaupt die Möglichkeit vorhanden ist, zu entkommen.«
»Die ist vorhanden.«
»Auf welche Weise denn?«
»Durch meine Hilfe.«
»So! Diese Hilfe haben Sie ihnen versprochen?«
»Ja.«
»Und Sie sind bereit, Ihr Versprechen zu halten?«
»Ja. Natürlich immer unter der Voraussetzung, daß es etwas für mich abwirft.«
»Ich wiederhole Ihnen, daß ich dankbar sein werde.«
»Das genügt.«
»Wie also denken Sie sich die Befreiung der Gefangenen? Vielleicht die Fenstergitter zerfeilen?«
»O nein. Das wäre zu gefährlich und auch zu zeitraubend. Man muß ganz einfach in’s Gefängniß gehen und die Beiden herauslassen.«
»Donnerwetter! Das nennen Sie ›ganz einfach‹! Mir scheint das ganz und gar nicht einfach zu sein!«
»Und doch ist es so. Man muß nur die Oertlichkeit kennen, und auch die Verhältnisse.«
»Die kennen Sie?«
»Ja. Es sind nämlich zwei Schließer da, welche in der Nachtwache abwechseln. Heute der Eine und morgen der Andere. Der Eine hat eine Geliebte, welche in der Nähe des Gefängnisses wohnt. Er hat während des ganzen Tages Dienst und nur aller vier Wochen einen halben Sonntag frei. Aus diesem Grunde kommt er eigentlich nur selten, also aller vier Wochen, zu ihr. Da ist er denn auf den Gedanken gekommen, sie zu besuchen, wenn er Wache hat.«
»Sapperlot! Das wäre gut«
»Er wartet, bis Alles schläft, und schleicht sich fort zu ihr. Bei dieser Gelegenheit ist das Gefängniß ohne alle Aufsicht. Man könnte hinein und die beiden Gefangenen ganz gemüthlich herausholen.«
»Ganz gemüthlich?«
»Ja, denn es gäbe ja Niemanden, der es zu verhindern vermöchte.«
»Aber, Sie wunderbarer Mann, Sie scheinen anzunehmen, daß der Schließer, wenn er zu seinem Mädchen geht, alle Thüren für uns öffnet und auch offen läßt.«
»Das nicht. Er schließt vielmehr Alles sehr sorgfältig zu.«
»Wie also könnte man hinein?«
»Mit dem Hauptschlüssel.«
»Haben Sie den?«
»Nein.«
»So taugt also Ihr Rath den Teufel!«
»Er ist doch vielleicht besser, als Sie denken. Nämlich der Hauptschlüssel ist ganz gut zu bekommen.«
»Wie denn?«
»Auf zweierlei Weise. Zunächst muß der Schließer, wenn er fortgeht, durch den Gefängnißgarten. Zum vorderen Thore kann er nicht hinaus, weil er da recht gut bemerkt werden könnte. Natürlich trägt er seine Schlüssel bei sich. Man braucht ihn also nur im Garten abzulauern.«
»Hm! Ist er stark?«
»Nicht sehr. Ich getraue mir, es mit ihm aufzunehmen.«
»Er kann aber doch Lärm machen.«
»Da müßte man es sehr dumm anfangen.«
»Man müßte mehrere Leute bei sich haben.«
»Das ist nicht nöthig; das würde sogar das Gelingen sehr in Frage stellen. Zwei Personen sind genug. Wenn Mehrere kommen, werden sie leicht bemerkt.«
»Sie haben nicht ganz Unrecht. Aber schließt denn der Hauptschlüssel alle Thüren?«
»Natürlich. Ich weiß das sehr genau, denn ich habe aufgepaßt.«
»Sprachen Sie nicht von einer zweiten Art und Weise, zu dem Schlüssel zu kommen?«
»Ja. Und diese Weise ist kinderleicht. Nämlich vier Personen besitzen Hauptschlüssel: Die beiden Schließer, der Wachtmeister und der Gerichtsamtmann. Dieser Letztere nimmt seinen Schlüssel niemals mit nach Hause, sondern er läßt ihn in seiner Expedition zurück, wo er ihn an den Nagel hängt.«
»Da denken Sie, daß man ihn nur wegzunehmen brauche?«
»Ja.«
»Aber wie in die Expedition gelangen?«
»Sehr leicht. Durch das Fenster.«
»Ist es nicht vergittert?«
»Nein. Die Verhörzimmer liegen doch nicht im Gefängnisse.«
»Kennen Sie diese Expedition genau?«
»Ganz genau. Sie liegt im ersten Stockwerke. Man steigt hinauf, drückt mit einem Pflaster die Fensterscheibe ein, öffnet den Flügel, steigt hinein und nimmt den Schlüssel.«
»Wie kommen Sie hinauf an’s Fenster?«
»Mittels einer Leiter natürlich.«
»Woher eine solche nehmen?«
»Es hängen wohl drei oder vier Stück an der Gartenseite des Gerichtsgebäudes, lange und kurze. Und glücklicher Weise befindet sich das
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