Der verlorne Sohn
stecken sie dort unten. Ich glaube nicht daß man auch hier Wachen aufgestellt hat. Die eine vorn an der Mauer genügt. Laß uns durch das Fenster steigen!«
Sie gelangten in das Innere des verwüsteten Gebäudes und schlichen sich an der Wand hin.
Der erwähnte Lichtschein wurde desto bemerkbarer, je weiter sie sich ihm näherten. Endlich standen sie vor der Grube, von welcher Adolf gesprochen hatte. Diese war mit starken Quadern eingemauert; eine aus demselben Materiale bestehende Treppe führte hinab. Man sah es, daß da unten die mächtigen Dampfkessel gestanden hatten. Jetzt aber war der Platz leer.
Zwei Blendlaternen brannten unten, und beim Scheine derselben gewahrten die Lauscher zahlreiche dunkle Gestalten, in deren Mitte Einer stand, welcher mit gedämpfter Stimme Befehle auszutheilen schien.
»Das ist der Hauptmann,« flüsterte Adolf.
»Jedenfalls. Schade, daß er leise spricht! Schleichen wir uns in die Nähe der Treppe. Vielleicht hören wir etwas, wenn sie dann gehen.«
Sie huschten am Rande der Grube hin, und wieder war es eine Gunst des Zufalles, daß gerade in der Nähe der Treppe eine Menge Sandsteinquader lagen, hinter denen sich die Beiden verstecken konnten.
So sehr sie sich auch anstrengten, sie konnten nichts verstehen. Endlich aber hörten sie ein lautes »Gute Nacht«. Die Männer kamen einzeln herauf und entfernten sich. Die beiden Laternen wurden verlöscht. Es war völlig grabesdunkel umher.
Trotz dieser Finsterniß bemerkten die beiden Lauscher, daß Jemand ganz in ihrer Nähe stehen geblieben sei. Sie hielten nun sogar den Athem an.
Schon glaubten sie, daß dieser der einzige noch Anwesende sei, da hörten sie abermals Schritte die Treppe heraufkommen, und dann sagte der in ihrer Nähe Befindliche: »Hauptmann!«
»Was? Noch Jemand hier?« lautete die Frage.
»Ich bin es: Jacob Simeon.«
»Ah, der Goldarbeiter. Warum wartest Du noch?«
»Um Bericht zu erstatten. Es ist ja nicht für die Ohren der Anderen.«
Jetzt war der Hauptmann zu ihm getreten. Die Lauscher verstanden ein jedes der gesprochenen Worte.
»Nun, bist Du glücklich gewesen?«
»Ich denke.«
»Also, erzähle!«
»August Seidelmann wird nicht sterben.«
»Verdammt! Woher weißt Du es?«
»Vom Dienstmädchen des Gerichtsarztes. Er ist bereits so weit hergestellt, daß er dislocirt werden soll.«
»Wohin?«
»Aus dem Krankenhaus in das Untersuchungsgefängniß.«
»Gefangen? Was, gefangen soll er werden?«
»Ja. Der Arzt hat mit seiner Frau davon gesprochen, und das Mädchen hat Alles gehört.«
»Aber hat sie auch gehört, warum man ihn festhalten will?«
»Ja. Es geschieht auf Veranlassung des Fürsten von Befour.«
»Alle Teufel! Was hat dieser mit dem Schuster zu schaffen?«
»Er ist ja da gewesen, als bei der Melitta die That geschah. Die Mädchen haben gegen den Schuster ausgesagt.«
»So mag der Fürst trotzdem davon bleiben, sonst klopfe ich ihm auf die Finger.«
»Hm! Er scheint auch anderweit sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, welche ihm nichts angehen.«
»In wiefern?«
»Es bezieht sich das auf die Aufgabe, die Sie mir gestellt haben, als wir zum letzten Male hier waren.«
»Du meinst die Angelegenheit mit der verschwundenen Baronin Ella von Helfenstein?«
»Ja.«
»Bist Du vielleicht glücklich gewesen?«
»Sehr glücklich!«
»Nun, was weißt Du?«
»Werde ich die Prämie bekommen?«
»Gewiß! Was ich verspreche, halte ich. Wenn Du entdeckst, wo sich die Baronin befindet, zahle ich die dreihundert Gulden.«
»So zahlen Sie!«
»Alle Wetter! Weißt Du sie wirklich?«
»Ja wohl. Sie ist beim Fürsten von Befour.«
»Bist Du toll?«
»Nein. Ich habe sie gesehen.«
»Und Du irrst Dich nicht? Du kennst sie genau?«
»Ja, ganz genau. Ich habe sie hundertmal gesehen.«
»Wie hast Du das entdeckt?«
»Nun, Sie kommandirten mich nach Rollenburg, um zu forschen. Ich bin zwar kein Polizist, aber ich habe die Anlagen, einer zu sein. Ich machte mich also an die Krankenwärter des Doctor Mars, besonders der Eine wurde beim Wein gesprächig. Er sagte mir, daß Keiner als nur Doctor Zander die Baronin fortgeschafft haben könne.«
»Ganz meine Ansicht. Wüßte man nur, wo er jetzt steckt!«
»Gerade so dachte auch ich. Da kam ich ganz zufällig auf dem Bahnhofe mit einem Kellner zu sprechen. Die Rede kam auf das dortige Zuchthaus. Er sagte, daß vielleicht Mancher der Züchtlinge unschuldig sei. Erst vor einigen Tagen sei eine Sträflingin entlassen worden, welche als
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