Der verlorne Sohn
Medaillons?«
»Robert Bertram.«
Sie blickte ihn mit großen, weitgeöffneten Augen an, dann schlug sie plötzlich vor Entzücken die schönen Händchen zusammen, sprang wie electrisirt vom Sitze auf und rief: »Er ist’s! Er ist’s! Er und kein Anderer! Mein Herz sagt es mir, und das wird Recht behalten.«
»Auch ich stimme Dir bei.«
»Auch Du? Siehst Du! Siehst Du! Und was sagt Bertram dazu? Ich muß sofort hin, um ihn zu umarmen!«
»Warte, warte, liebes Kind! Er weiß kein Wort.«
»Kein Wort? Warum nicht?«
»Ich muß erst meiner Sache sicher sein, ehe ich die Gemüthsruhe des braven Jünglings so gewaltig störe. Komm, setze Dich; ich will Dir die Geschichte dieses Medaillons erzählen.«
Als er später die Geliebte verließ, war er mir ihr einig geworden, Robert Bertram noch nichts zu sagen, sondern erst mit den Schmieden zu sprechen und die erforderliche Erkundigung im Findel-und Waisenhause einzuziehen. –Um vielleicht dieselbe Zeit saß in der betreffenden Kellerrestauration der Agent Bauer, welcher der Lieutenant des Hauptmannes war. Er wartete auf den Letzteren, welcher bekanntlich unter der Maske eines emeritirten Cantors und Organisten hier zu verkehren pflegte.
Dieser Letztere erschien auch baldigst und setzte sich zu ihm. Das Gespräch, welches sie führten, drehte sich um die Unterredung, welche der Hauptmann gestern nach Mitternacht mit dem Diener Leonhardt gehabt hatte.
»Dieser Mensch,« sagte der Agent, »scheint ein ehrlicher Kerl zu sein. Wenigstens ist er mir ganz so vorgekommen.«
»Mir auch. Er ist dummehrlich.«
»Hm! Vielleicht doch nicht so dumm, wie Sie meinen. Er scheint denn doch ein gut Theil Verschlagenheit zu besitzen. Er kommt mir ganz so vor, wie ein dummer Bauer!«
»Mir allerdings nicht. Und wie reimt sich das zusammen, daß Sie ihn einen dummen Bauer und doch einen Menschen nennen, welcher ein gut Theil Verschlagenheit besitzt?«
»O, das reimt sich sehr gut zusammen. Früher sprach man nur von den ›dummen Bauern‹. Man erzählte sich tausend der lächerlichsten Anecdoten von ihnen. Wo aber sind diese Bauern jetzt hin? Der Bauer ist klug geworden. Er weiß zu rechnen; er ist pfiffig. Er ist jetzt klüger als mancher Advocat und haut Den, von dem er sich früher betrügen ließ, nun seinerseits über die Ohren, daß es eine Art hat. Der Bauer ist dumm pfiffig. Und gerade so kommt mir auch dieser Diener der amerikanischen Tänzerin vor.«
»Sie glauben also, daß man mit ihm Etwas machen kann?«
»Ganz gewiß!«
»Und daß man ihm vertrauen darf.«
»Er ist ehrlich. Er wird nicht stehlen und nicht betrügen. Er wird aber sein den Schmieden gegebenes Wort halten, obgleich er da Etwas thun muß, was von den Gesetzen verboten ist.«
»So rathen Sie mir also, mit ihm zu gehen?«
»Natürlich! Wie er es zu arrangiren gedenkt, ist ja nicht die mindeste Gefahr vorhanden.«
Der Hauptmann warf dem Agenten einen langen, prüfenden Blick zu und fragte dann:
»Haben Sie wirklich diese Ueberzeugung?«
»Ja; ich vertraue ihm unbedingt. Uebrigens ist ja keinerlei Gefahr für Sie bei der Sache.«
»Oho!«
»Nun, welche denn?«
»Man kann mich sehr leicht wegfangen.«
»Das ist nicht gut möglich.«
»Und doch! Wie nun, wenn er die Polizei benachrichtigt und ich dann von ihr festgenommen werde?«
»Wie will er das anfangen?«
»Er braucht ja nur hinzugehen.«
»Sie brauchen ihn ja gar nicht aus den Augen zu lassen.«
»Das ist wahr.«
»Sie werden von hier aus in einem Coupee mit ihm sitzen und stets an seiner Seite bleiben. Er selbst wird die Leiter holen; er selbst wird auch den Schlüssel stehlen. Sie müssen das so einzurichten suchen. Das ist genug. Er ist dann der Mitschuldige und würde im Falle der Ergreifung bestraft werden, während Sie Zeit haben, zu entkommen.«
»Wie will ich zum Beispiel entkommen, wenn ich mit ihm im Gefängnisse ergriffen werde?«
»Sie können da gar nicht ergriffen werden. Sie brauchen ja nicht mit hinein zu gehen.«
»O doch!«
»Nein. Einer muß doch außen wachen. Das werden Sie sein. Er kennt das Innere des Gefängnisses, also muß er es sein, der da hineingeht und die beiden Gefangenen herausholt.«
»Hm! Das klingt allerdings sehr ungefährlich!«
»Es klingt nicht so, sondern es ist wirklich so!«
»So finden Sie also keine Gefahr dabei?«
»Nicht die mindeste.«
»Nun, so übernehmen Sie doch die Expedition!«
»Ich?«
Er that diese Frage doch mit dem Ausdrucke der Betroffenheit.
»Ja, Sie! Ich denke,
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