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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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eine tüchtige Weile warten.
    Aber hier im Regen? Er bemerkte, daß er sich in einem Hofe befand. Vielleicht gab es da irgend ein Gelaß, wo er ein Wenig untertreten konnte. Er suchte. Er fand einen Schuppen und einen Keller; aber die Thüren waren verschlossen. Er ahnte nicht, daß gestern sein letzter Kamerad, nämlich Bormann, grad in diesem Hofe auch eine Zuflucht gesucht und gefunden hatte. Der Hof gehörte zu dem Hause Neumarkt Nummer zwölf. In der ersten Etage wohnte der Falschmünzer Wunderlich.
    Der Baron trat an die Hinterthür. Das Dach hing ein wenig über. Wenn er sich an die Thüre lehnte, so konnte ihn wenigstens nicht die volle Fluth des Regens treffen.
    Bei dieser Gelegenheit ergriff er die Klinke. Sie bewegte sich. Er drückte sie nieder und – die Thür ging auf. Sie war nicht verschlossen gewesen.
    Er trat sofort ein. Das gab doch einen trockenen Ort. Entdeckt zu werden, hatte er hier für’s Erste nicht zu befürchten. Zu so später Stunde befand sich wohl kein Bewohner mehr außerhalb des Hauses, zumal bei diesem fürchterlichen Wetter.
    Es fiel ihm ein, daß ihm sein Diener ein Päcktchen Zündhölzer mitgegeben hatte. Er brannte eines der Hölzer an und leuchtete um sich.
    Er stand an der Hinterthür; vorn war die Hausthür; rechts gingen einige Stufen in die Wohnung des erhöhten Parterres und links die Treppe zum Stock empor. Unter dieser Treppe gab es eine Thür. Es gab weder Riegel noch Schloß daran. Er öffnete und leuchtete mit einem zweiten Hölzchen hinein. Der kleine Raum war halb mit Pappen angefüllt. Vielleicht wohnte ein Buchbinder oder Cartonnagenarbeiter in dem Hause.
    War es nicht besser, sich da hinein zu setzen? In dem Flur konnte doch vielleicht Jemand kommen, da hinein aber wohl Niemand. Auf den Pappen war es übrigens wärmer als auf den kalten Steinen. Er schob also den Riegel vor die Hinterthür und kroch dann mit seiner Tasche in den Treppenvorschlag. Dort machte er es sich möglichst gemüthlich. Er beschloß, ein Stündchen hier zu warten und dann sein Glück weiter zu versuchen.
    Hätte ihn die Sorge um die Fortsetzung seiner Flucht nicht gefoltert, so wäre ihm sein jetziger Schlupfwinkel als ganz gemüthlich vorgekommen.
    Er mochte ungefähr eine halbe Stunde hier gesessen haben, als sich oben eine Thür öffnete. Er hörte leise Schritte zur Treppe herabkommen, und zugleich bemerkte er durch eine ziemlich breite Spalte seiner Thür, daß die betreffende Person ein Licht bei sich hatte.
    Es war ein Mann in Schlafrock und Hausschuhen. Er setzte das Licht auf eine der Treppenstufen und ging dann zur Hausthür, wo er eine horchende, wartende Stellung einnahm. Nach einiger Zeit begann er unruhig im Hause auf-und abzugehen.
    Da ließ sich ein halblautes Klopfen vernehmen. Der Mann ging, um zu öffnen. Es klang wie ein Sporen oder das leise Aufstreichen einer Säbelscheide.
    »Guten Abend, Herr Wunderlich,« grüßte eine gedämpfte Stimme.
    »Guten Abend, Herr Lieutenant, oder vielmehr guten Morgen. Denn Mitternacht ist längst vorüber.«
    »Freilich. Schließen Sie die Thür und kommen Sie weiter in den Flur hinein. Es könnte mich doch vielleicht ein Neugieriger bemerken.«
    Der Schlüssel wurde im Schlosse umgedreht, und dann kamen die Beiden bis an die Treppe heran, so daß der Baron trotz den Stimmen des Windes alle ihre Worte hören konnte. Der Lieutenant sagte: »Sie haben also meine eiligen Zeilen erhalten?«
    »Ja, ganz unerwartet.«
    »Ich schrieb sie im Kavalierskasino. Haben Sie meinetwegen Schlaf versäumt?«
    »Allerdings freilich. Doch nahm ich an, daß der Grund Ihres Kommens ein wichtiger sein werde.«
    »Für mich, ja. Uebrigens ist es gar nicht gut, draußen zu gehen, wenigstens wenn man Absichten verfolgt, welche Niemand zu wissen braucht.«
    »Warum nicht gut? Dieses Wetter paßt grad zu stillen, unbemerkten Besuchen und Zusammenkünften.«
    »Haben Sie nicht die Wächtersignale gehört?«
    »Zuweilen, ja.«
    »Die ganze Polizei ist auf den Beinen.«
    »Giebt es Feuer?«
    »Nein, sondern etwas wohl noch Aufregenderes. Der Hauptmann ist nämlich wieder ausgebrochen.«
    »Was der Teufel!« sagte Wunderlich erstaunt.
    »Ja, ausgebrochen, aber auch eingebrochen.«
    »Wo?«
    »Im Hotel Union, wo sie die Juwelen der amerikanischen Tänzerin rauben wollten.«
    »Welche Kühnheit!«
    »Es ist auch nicht gelungen. Die Polizei hatte vorher Wind bekommen, nämlich durch den Fürsten von Befour, und dieser hatte sich mit einigen Leuten in das Logis der

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