Der verlorne Sohn
nur, wie ich Ihnen einen recht, recht großen und ungewöhnlichen Dienst erweisen könnte!«
Er hielt ihre Hand in der seinigen und antwortete:
»Das können Sie, Miß Ellen, das können Sie.«
»Wie denn? Auf welche Weise? Bitte, sagen Sie es mir!«
»Damit, daß Sie sich zuweilen meiner erinnern, wenn Sie wieder jenseits des Oceans gelandet sind.«
»An Sie mich erinnern? Ja, das werde ich. Aber wohl nicht jenseits des Oceans.«
»Kehren Sie nicht zurück?«
»Nein. Ich bleibe hier.«
»Hier in der Residenz?«
»Vielleicht. Ueberhaupt auf dem Continente.«
Da glitt ein Schatten über sein Gesicht. Er fragte:
»So werden Sie doch Engagement nehmen?«
»Das ist mein liebster, liebster Wunsch.«
»An der Hofbühne?«
»Nein. Ich denke nur an ein Privatengagement.«
»Das verstehe ich nicht.«
Sie blickte sinnend vor sich nieder und dann wieder mit einem großen, tiefen Blicke zu ihm auf. Sie war bleich geworden, und ihre Lippen schienen zu beben; aber mit ruhiger Stimme sagte sie: »Ich werde es Ihnen erklären. Sie haben mich drüben gesehen in meinem Vaterlande – –«
»Ja,« fiel er ein. »Ich habe das niemals vergessen.«
»Ich auch nicht. Es gab damals eine recht glückliche, selige Zeit. Es gab einen Mann, an den ich dachte bei Tag und bei Nacht. Er hatte mir das Herz geraubt und mein ganzes Wesen gefangen genommen. Ich wußte, daß ich ohne ihn nicht leben könne. Meine ganze Seele flog und athmete ihm entgegen, und doch blieb er mir so kalt und so fern.«
Sie machte eine kleine Pause. Auch er war bleich geworden. Sie liebte einen Anderen, sie sagte ihm dies jetzt, um ihm zu bedeuten, daß er nichts zu hoffen habe.
»Warum davon sprechen?« preßte er hervor. »Ich habe kein Recht, Ihnen zuzuhören!«
»Keins? Wirklich nicht? Ja, jener Mann blieb mir kalt und fern. Und doch liebte er mich, herzinnig und für das ganze Leben. Er opferte mir seine Errungenschaften, seinen Ruhm, seine Zukunft, und als ich ihm für dieses Opfer danken wollte, da war er verschwunden. Aber ich habe nach ihm gesucht und geforscht. Ich habe ihn gefunden. Einst hat er sich für meine Ehre der tödtlichen Waffe gegenüber gestellt; heute hat er mir das Leben gerettet. Und dennoch sagt er, daß er kein Recht habe, meine Worte anzuhören!«
Der Ausdruck seines Gesichtes veränderte sich. Es erstarrte fast. Es war, als sei etwas Großes, Undenkbares, Unbegreifliches ganz plötzlich über ihn gekommen.
»Miß Ellen! Höre ich recht?« stammelte er.
»Hoffentlich, Herr Holmers!«
»Sie sprechen von – von – – von – – –?«
Da trat sie zu ihm, legte ihm beide Hände auf die Achseln, nickte ihm so tief und ernst entgegen und ergänzte seine unausgesprochene Frage: »Von Ihnen. Ja, von Ihnen spreche ich. Meine Aufrichtigkeit mag unweiblich sein; aber ich bin Amerikanerin und Künstlerin. Und wenn ich Beides nicht wäre, so hätte ich als lebendes Wesen dennoch und doch das Recht, glücklich zu sein und glücklich zu machen und dieses Glück entgegen zu bringen, wenn man so bescheiden ist, es nicht von mir zu fordern. Jetzt nun kennen Sie die Ursache, warum ich hierhergekommen bin. Ich wollte Sie finden. Ich habe Sie gefunden. Nun entscheiden Sie, ob ich Sie wieder verlieren soll!«
Sie stand so hoch, so schön, so stolz und strahlend vor ihm, ein Weib in der erhabensten Bedeutung des Wortes, und doch auch wieder so rein und keusch, so demüthig und mild, ihr Urtheil in tiefster Ergebung erwartend, eine Jungfrau im sinnbestrickendsten Reize ihres unnahbaren und beglückenden Zaubers. Er wollte sprechen; er wollte ihr antworten; aber er konnte nicht. Er nahm ihre Hände von seinen Schultern ab; er hielt sie in den seinigen. Seine Augen füllten sich mit großen, schweren Tropfen, und nur das eine Wort brachte er hervor: »Ellen, Ellen!«
»Max, hast Du mich lieb? Ja, Du hattest mich lieb, sehr lieb! Ist es nicht so?« fragte sie.
»Mein Gott! Ich bin ja nichts, gar nichts!«
»Fürchtest Du Dich dafür, daß man mich reich nennt?«
»O, Du bist ja mehr, viel mehr als nur reich. Ein einziger Ton Deiner wunderbar süßen Stimme ist mir werther, als all’ Dein Reichthum. Ein einziger Blick Deines Auges wiegt mir alle Schätze der Erde auf. Wie kann ich, der arme Musikus, so herrliches besitzen!«
»O, Du besitzt es schon längst, schon seit dem Augenblicke, an welchem ich Dich zum ersten Male sah. Du hast für mich gekämpft, da drüben, und die Wunde nicht gescheut, welche Dich Deiner Kunst entfremdete.
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