Der verlorne Sohn
wir ihm nach. Ich muß ihn wieder haben. Er gleicht jetzt dem wilden Thiere, welches würgen muß, um nicht erwürgt zu werden.« – –Als der Baron vorhin am Seile herabgeklettert war, hatte er sich in höchster Eile entfernt. Er glaubte, daß man nicht blos ihn oben abgelauert, sondern auch sich hier in der Nähe versteckt habe, damit er ja nicht entkommen könne. Er konnte zwar nicht begreifen, wie seine Absicht verrathen worden sein könne; aber verrathen worden war sie; das sah er ein, und so galt es nur, schleunigst zu entfliehen.
Es war ihm, als ob er bereits die Verfolger hinter sich höre, und so fiel er vor Angst in eine sich immer vergrößernde Eile. Er war im Begriff, um eine Ecke zu biegen. Da stieß er mit einem Manne zusammen, welcher von der anderen Seite kam. Er erkannte in ihm einen Nachtwächter. Diesem wieder mußte die Eile des Barons auffallen. Daß dieser eine Tasche oder ein Paquet bei sich trug, verdoppelte den Verdacht.
»Halt! Warten Sie einmal!«
Mit diesen Worten hielt der Beamte den Baron fest. Dieser aber riß sich los und eilte nun im vollen Rennen weiter.
»Halt!« rief der Wächter abermals, ihm nachlaufend.
Als dies nicht half, zog er seine Pfeife und gab das Signal. Von dem anderen Ende der Gasse ertönte Antwort. Der Baron hörte, daß er sich zwischen zwei Feinden befinde, lief aber weiter, fest entschlossen, den zweiten Wächter, falls dieser ihn anhalten würde, entweder über den Haufen zu rennen oder gar nieder zu schießen. Zum Glücke aber öffnete sich rechts abermals eine Gasse. Er bog in dieselbe ein, war aber noch nicht weit gekommen, so ertönte hinter ihm ein Doppelsignal.
Die beiden Wächter waren zusammengetroffen und wußten nun, welche Richtung er eingeschlagen habe. Vorn, weit vor ihm, wurde geantwortet.
Wieder zwei Nebengassen, rechts eine und links eine. Rechts ertönte auch ein Pfiff; er bog also links ab, kam in eine Hauptstraße, hörte aber vor und hinter sich das verteufelte Pfeifen. Es war, als ob alle Nachtwächter ihm auf den Fersen seien.
Da sah er beim trüben Scheine einer Laterne abermals eine Gassenöffnung, in welche er schlüpfte, freilich abermals verfolgt von den Signalen. So wurde er weiter und immer weiter gehetzt, vorwärts, rückwärts, seitwärts, bald rechts und bald links.
Zuletzt war man ihm so nahe, daß er die eilenden Schritte seiner Verfolger hörte. Er befand sich eben in einem engen Verbindungsgäßchen.
»Haltet auf, haltet auf,« rief man hinter ihm.
»Wo? Wo?« hörte er vor sich rufen.
Was thun. Zu seiner rechten Hand gab es eine Gartenmauer, welche nicht sehr hoch war. Schnell entschlossen warf er die Koffertasche hinüber und folgte nach.
Hierher fiel kein Licht. Er mußte sich erst orientiren. Das aufgeregte Blut stürmte durch seine Adern und die Lungen arbeiteten so gewaltig, daß er stehen blieb, um zu Athem zu kommen. Da kamen von der einen Seite zwei Männer gerannt, wie er an den Doppelschritten hörte, und von der anderen auch einer. Draußen an der Mauer trafen sie zusammen.
»Halt! Wohin?« fragte einer der Beiden.
»Vorwärts, es hat gepfiffen.«
»Das waren wir.«
»Ach so! Du bist ein College! Hier brennt keine Laterne und das Wetter schlägt einem die Augen zu. Ist Dir Niemand begegnet?«
»Nein.«
»Wir dachten, er sei hier herein.«
»Wer?«
»Ein Spitzbube. Der Bezirkswächter hat ihn draußen auf der Johannstraße laufen sehen. Regenmantel mit Caputze und ein Packet in der Hand.«
»Himmelelement! Wäre es möglich?«
»Was?«
»Wir suchen grad so Einen.«
»Dann ist’s derselbe. Warum sucht ihr ihn?«
»Er hat im Hotel Union die Amerikanerin ermorden wollen. Sein Cumpan ist gefangen; er aber ist durch das Fenster entwischt. Alles ist auf den Beinen. Die sämmtlichen Ausgänge der Stadt sind besetzt.«
»Ah! Da entkommt er nicht!«
»Man munkelt davon, daß es gar der Hauptmann sei.«
»Unsinn! Der ist gefangen!«
»Nein; er soll vorhin entsprungen sein.«
»Unglaublich!«
»O, was ist Dem nicht möglich! Also, hier herein ist der Mann nicht?«
»Wir müssen uns geirrt haben, wollen aber die Gegend im Auge behalten. Hier kann man sich einmal auszeichnen und eine Gratification bekommen. Kehre Du wieder um, mache aber die Augen auf!«
Der Baron hatte jedes Wort gehört. Hier in der engen Gasse war es ruhiger, so daß der Sturm nicht die Worte augenblicklich verwehte. Es wurde ihm himmelangst. Was nun thun? Hinaus konnte er nicht, wenigstens jetzt noch nicht. Er mußte
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