Der verlorne Sohn
ich immer gedacht; jetzt aber scheint es anders geworden zu sein. Schau, ich habe mit meiner Frau einsam gewohnt und einsam gelebt, so lang als wir uns haben. Im Stillen ist der liebe Gott bei uns gewesen, und es hat bei uns stets Eintracht und Zufriedenheit gegeben. Da kamst Du. Du sagtest, Du hättest ein bischen über die Grenze hinüber gehantiert und müßtest für kurze Zeit aus Deinem Neste fort; ob ich Dich so einige Wochen lang bei mir haben wollte. Du bist mein Vetter, und so sagte ich gern und willig Ja.«
»Dafür bin ich Euch ja herzlich dankbar!«
»Schön! Ich will es glauben. Aber als Du dann wirklich kamst, so kamst Du nicht allein, sondern Du brachtest diesen Menschen mit. Wir sollten ihn auch mit aufnehmen, weil er Dein Freund sei und sich auch für kurze Zeit nicht sehen zu lassen brauche. Ich bin nie ein Schmuggler gewesen, aber wie Alle, hier an der Grenze, denken nicht schlimm über dieses Geschäft, und so habe ich gedacht, keine Sünde zu thun, wenn ich Dir aus der Verlegenheit helfe. Was aber geht mich die Verlegenheit eines so fremden Menschen an?«
»Er ist mein Freund und wird es Euch vergelten!«
»Das klingt sehr schön; aber ich sehe nichts. Ihr eßt nun bereits acht Wochen lang von meiner Armuth; ich weiß fast nicht mehr, woher ich es nehmen soll, und bekomme nicht einmal Habdank dafür. Das möchte nun noch sein. Aber daß er mir Unfrieden säet, daß er unsern Glauben verachtet, daß er die alten Lieder verspottet, die uns getröstet haben in Trübsal, Hunger und Noth, das kann und mag ich nicht länger leiden. Er nennt sich Hirsch. In unserer Gegenwart sagt Ihr Du zueinander; seid Ihr aber allein, so nennst Du ihn Sie. Wer ist dieser Mann?«
»Du irrst. Ich sage nie Sie zu ihm. Er heißt Hirsch, ist mein Geschäftsfreund, und seine Heimath liegt jenseits über der Grenze drüben.«
»Warum trägt er falsches Haar?«
Der Gefragte erschrak, faßte sich aber und antwortete:
»Er trägt Perrücke, weil er nur spärliches Haar hat.«
»Nein; er hat ein schönes, schwarzes Haar und legt sich doch eine helle Perrücke darüber.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Du sagst die Unwahrheit!«
»Fällt mir nicht ein!«
»So? Ihr schlaft in einer Kammer. Ich sehe durch die Astlöcher, daß er im Schlafe die Perrücke verliert. Du selbst hast sie ihm wieder aufgesetzt, und jetzt leugnest Du?«
»Vetter!«
»Schon gut! Aber ich will Dir einmal eine kleine Geschichte erzählen, wenn es Dir recht ist.«
»Erzähle sie!«
»Schön! Ich komme jährlich nur einmal aus dem Wald hinaus. Das letzte Mal war es vor zwei Wochen, als ich auf dem Jahrmarkt in Waltersgrün war. Ich saß in der Schenke und hörte zu, was die Leute erzählten. Auf einmal redete Einer von dem Wagner Hendschel in Obersberg. Kennst Du den?«
»Spaßvogel! Das bin ich ja selbst!«
»Schön! Also von Dir erzählte er. Er sagte, Du seiest Pascherkönig gewesen und aus Angst ausgerissen. Bis jetzt könne Dir nichts bewiesen werden, und so wäre es besser, wenn Du zurückkehrtest und Dein gutes Gewerbe wieder in die Hand nähmst. Hatte er recht?«
»Hm!«
»Bist Du einmal erwischt worden?«
»Nie.«
»So gehe heim und arbeite von jetzt an treu und ehrlich! Und wenn Jemand sagt, Du seist ausgerissen, so antworte ihm, daß Du bei mir auf Besuch gewesen bist, so muß er still sein.«
»Ja, wenn man nur wüßte!«
»Was?«
»Ob es wirklich so ist, wie man sagt!«
»Es ist so. Der Schmied Wolf und die Seidelmanns sind erwischt worden; darum ist’s aus mit ihnen. Dich aber hat noch Keiner ertappt. Du brauchst Dich gar nicht zu fürchten. Und willst Du Dich ganz sicher stellen, so will ich nach Obersberg gehen und einmal hinhorchen, wie die Spatzen pfeifen.«
»Vetter, wenn Du das thun wolltest!«
»Ganz gern! Ich weiß, Du bist kein schlechter Kerl und wirst nicht wieder solche Dummheiten machen. Es ist vortheilhafter, Du änderst Dich freiwillig, als daß Du durch das Zuchthaus gebessert werden sollst.«
»Das ist nicht nöthig. Ich bin durch die Seidelmanns hinein gerathen. Wenn ich ruhig heim könnte zu den Meinen, so wäre Alles gut!«
»Gehe in Gottes Namen! Es thut Dir kein Mensch etwas. Also das war das Eine, was ich hörte. Das Andere war ebenso wichtig, vielleicht noch wichtiger.«
»Du machst mich neugierig. Was war es denn?«
»Die Geschichte von einem Erzspitzbuben, von einem Hallunken, wie es keinen zweiten gegeben hat oder jemals geben wird.«
»Wie heißt er denn?«
»Hast Du einmal von einem
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