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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fünfzehntausend Gulden verschachert worden. Ich mag nichts wissen. Gute Nacht, Hendschel!«
    Er erhob sich und verschwand im Dunkel der Nacht. Hendschel blieb sitzen. Er ballte ergrimmt die Fäuste und dachte, natürlich bei sich im Stillen: »Recht hast Du, Hallunke! Du hast mich zum Pascher gemacht und mich ausgenutzt für ein Lumpengeld! Fünfzehntausend Gulden! Ah! Zehntausend, wenn er todt ist! Man sollte den Kerl einfach erschlagen!«
    So saß er noch lange da, in Gedanken versunken, welche ebenso dunkel waren, wie die nächtlichen Schatten, die unter dem dichten Dache des Waldes brüteten. Er ging erst spät schlafen. Was nun auch das Ergebniß seines Sinnens gewesen war – als er erwachte, war Hirsch, der einstige Hauptmann, nicht zu sehen. Hatte er Verdacht geschöpft? Hatte er dieselben Gedanken gehabt wie Hendschel: Todt abgeliefert zehntausend Gulden?
    Hendschel suchte überall nach ihm, vermochte ihn aber nicht zu finden und war nun überzeugt, daß er das Weite gesucht habe.
    Und so war es auch.
    Der Hauptmann traute den Köhlerleuten nicht mehr. Ihr gestriges Verhalten hatte ihn zur Vorsicht gemahnt. Und ebenso hatte ihn die Unterredung mit Hendschel zu der Ueberzeugung gebracht, daß er sich auch vor diesem in Acht zu nehmen habe. Er hatte sich also entschlossen, sein jetziges Asyl ganz im Stillen zu verlassen.
    Früh, als die beiden Anderen noch schliefen, war er aufgestanden, hatte sich von dem auf dem Tische liegenden schwarzen Haferbrote ein Stück abgeschnitten, um während des Tages nicht hungern zu müssen, und war dann gegangen.
    Draußen an dem dichten, grünen Gartenzaune war er stehen geblieben, und sein Auge musterte das Häuschen, dessen stillen Schutz er von jetzt an nun zu entbehren haben sollte. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und murmelte: »Nun ist’s auch hier vorüber! Vogelfrei! Ein Jeder kann mich ermorden, ohne Strafe befürchten zu müssen. Ja, er wird sogar noch dafür belohnt. Ich bin ausgestoßen wie ein wildes Thier. Aber ein wildes Thier will fressen und saufen, will leben. Was es braucht, das raubt es sich also. Ich muß es auch so machen!«
    Daß er es bereits so gemacht hatte, als er noch nicht vogelfrei war, daran wollte er nicht denken.
    Er ging fort, nicht den breiten Weg, denn auf demselben konnte er Jemandem begegnen, und das mußte er gezwungenermaßen vermeiden – sondern er bog in einen schmalen, kaum gangbaren Waldweg ein. Noch wußte er nicht, wohin er sich wenden werde. Er wollte zunächst in die Tiefe des Waldes tauchen und dort überlegen, was für ihn am Gerathensten sei.
    So schritt er tief in Gedanken versunken weiter, bog mehrere Male zur Seite ab, ohne es eigentlich zu wollen, blieb sinnend stehen, ging wieder weiter, bis er zu seiner nicht sehr freudigen Ueberraschung bemerkte, daß er sich wieder in der Nähe der Köhlerwohnung befinde.
    Jetzt nahm er sich eine bestimmte Richtung vor. Er wendete sich gegen Norden mitten in den Wald hinein, da, wo eine enge, kaum gangbare Schlucht steil empor zu einer Höhe führte, von welcher aus man weit in das Land hineinzuschauen vermochte.
    Diese Aussicht war von außerordentlicher Schönheit, aber auch ebenso gefährlich. Der Aussichtspunkt lag hart am Rande des Felsens, welcher tief in den dunklen Grund abfiel. Eine Barrière gab es nicht. Wer schwindelte, der konnte sich höchstens an einer der Tannen festhalten, welche ihre spärliche Nahrung aus den Felsenritzen sogen.
    So schritt und kletterte er weiter und weiter, immer höher und höher. Fast hatte er den oberen Rand des Felsens erreicht, so stand er erschrocken still. Er hatte über sich, auf der Felsenplatte, eine menschliche Stimme vernommen, nicht etwa sprechend, sondern räuspernd, wie wenn Einer zu singen anheben will.
    Der Baron stand und horchte. Er hörte ein leises Hüsteln, und dann begann eine volle, kräftige Baritonstimme die Verse:
    »Land meiner Väter, länger nicht das meine,
    So heilig ist kein Boden, wie der Deine.
    Nie wird Dein Bild aus meiner Seele schwinden,
    Und knüpfte mich an Dich kein lebend Band,
    Es würden mich die Todten an Dich binden,
    Die Deine Erde birgt, mein Vaterland.«
     
    Dann wurde es still. Der Baron hörte nichts, keinen Laut, keine Bewegung mehr.
    »Hm!« dachte er. »Das ist ja ein deutsch-amerikanisches Lied, von Conrad Krez gedichtet! Wie kommt ein Gebirgler dazu, die Melodie desselben zu kennen? Oder ist der Sänger vielleicht ein Fremder? Ich muß doch einmal sehen.«
    Er kletterte

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