Der verlorne Sohn
Residenz, meinetwegen direct an den Justizminister, nach Verhaltungsvorschriften. Bitten Sie um einen Criminalbeamten und um einen tüchtigen Arzt. Beide aber müssen noch am heutigen Tage hier eintreffen.«
»So werde ich schleunigst abreisen. Vorher aber wollen wir thun, was wir bisher noch unterlassen haben, nämlich seine Taschen durchsuchen.«
Er nahm die Kleider her und visitirte die Taschen. Es fand sich nichts, gar nichts als das Stück Brod, welches der Baron sich in der Frühe abgeschnitten hatte.
»Hm!« brummte der Obergensd’arm. »Auch kein Leckerbissen für einen Baron. Aber woher mag er dieses Brod wohl haben?«
Der Arzt nahm es aus seiner Hand, betrachtete es und meinte dann:
»Das ist nicht alt; das ist erst heute von einem Laibe abgeschnitten worden.«
Die alte Köhlersfrau stieß ihren Mann an und flüsterte:
»Um Gotteswillen! Sie werden es doch nicht merken!«
»Warte es ab!«
Der Blick des Gensd’armen fiel wirklich auf den Tisch, auf welchem das Brod noch immer lag, doch war von demselben bereits mehr abgeschnitten und gegessen worden.
»Das ist ja auch ganz solches Haferbrot,« sagte er. »Zeigen Sie doch einmal her!«
Er paßte die Schnitte an den Laib an und meinte dann:
»Ja, ganz dasselbe. Haben Sie heute Brod verschenkt oder ein Stückchen verkauft, Herr Hendschel?«
»Nein.«
»Es ist auch kein Fremder heute hier eingekehrt?«
»Nein.«
»Dachte es mir, doch muß man nach Allem fragen. Der Hauptmann kann ja gar nicht aus dieser Richtung gekommen sein, sondern von jenseits.«
»Wieso?« fragte der Arzt.
»Der Herr Lieutenant von Willmers hat im Walde einen Touristen getroffen, dem der Hauptmann begegnet ist. Dieser Tourist war ein Amerikaner. Ihm haben wir es eigentlich zu verdanken, daß wir diesen Fang gemacht haben, denn er hat die Aufmerksamkeit des Lieutenants auf ihn gelenkt. Der Hauptmann, oder vielmehr der Baron hier ist am Felsen emporgestiegen, von unten nach oben, also kann er doch nicht aus der Richtung dieses Hauses gekommen sein.«
»Gott sei Dank!« flüsterte die Köhlerin.
»Hoffentlich geht Alles gut!« antwortete ihr Mann ebenso leise. »Wie steht es mit Dir, Vetter?«
»Ah, habe ich Angst ausgestanden!«
»Es hat doch noch kein Mensch etwas gesagt!«
»O, ja, doch! Als Ihr droben in der Kammer wart, um das Bett herabzuholen.«
»Wer denn?«
»Der Obergensd’arm.«
»Was sagte er denn?«
»Er fragte, wer ich sei, wie ich heiße, woher ich bin und was ich hier bei Euch will.«
»Du hast ihm die Wahrheit gesagt?«
»Ja.«
»Und was meinte er dazu?«
»Gar nichts. Er blieb ganz freundlich.«
»Na, siehst Du, daß ich Recht hatte! Es ist für Dich gar keine Gefahr vorhanden. Du kannst ganz ruhig zu den Deinen zurückkehren. Am Besten ist es, wenn Du das heute noch thätest.«
»Soll ich Euch allein lassen bei der Last, die nun jetzt auf Euch liegt?«
»Du kannst uns auch nichts helfen und wirst daheim viel nöthiger gebraucht als hierbei uns.«
Jetzt erhob sich der Obergensd’arm von seinem Stuhle, trat herbei und sagte in freundlicher Weise:
»Es thut mir leid, daß Sie eine solche Belästigung erfahren müssen, aber Sie sehen doch wohl ein, daß wir den Verunglückten nicht weiter schaffen konnten?«
»Er mag hier bleiben, wenn es Ihnen recht ist.«
»Gut! Man wird Sie entschädigen; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der Kranke ein schwerer Verbrecher ist. Er ist unser Gefangener. Sie würden einer strengen Strafe verfallen, wenn Sie sich nicht nach meiner Bemerkung richten wollten.«
»Ich habe keine Veranlassung dazu.«
»Es ist sogar möglich, daß man Ihnen heimlich Geld bietet, viel Geld, um den Gefangenen zu befreien. So etwas haben Sie uns unverzüglich zu melden. Ich gehe jetzt fort. Es wird noch heute ein Gerichtsbeamter kommen, welcher Ihnen bis in’s Einzelnste sagen wird, wie Sie sich zu verhalten haben. Adieu!«
Er verabschiedete sich auch vom Arzte und ging. – –
Das kleine, freundliche Städtchen Langenstadt, nach welchem sich der jetzt als Amerikaner verkleidete Flüchtling begeben wollte, liegt zwischen den Ausläufern des Gebirges an einer Secundärbahn. Sich vom Fuße eines von Gärten umfaßten Berges zur Höhe ziehend, führt seine letzte Straße nach dem Schlosse der Scharfenbergs, welches hell und stolz die Gegend überschaut.
Nur ein Wenig über eine halbe Wegstunde von Langenstadt entfernt, liegt, auch am Fuße eines Berges, der Ort Randau, und oben auf der Höhe erhebt sich das Schloß
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