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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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endlich die letzte Höhe erreicht hatte und nun unter den Fichten nach dem Felsenabsturze hineilte. Eben wollte ich unter den Bäumen heraus auf die kahle Steinfläche, da hörte ich ein Krachen wie von einem Kanonenschusse. Ich blieb halten, sah nach der Seite hin und erblickte eine Menge Soldaten, die um den Körper, den ich von da drüben bemerkt hatte, im Kreise standen. Da war ich nun freilich nicht nöthig. Aber ich wartete.«
    »Du lieber Gott, was werden wir hören!«
    »Kaum fünf Minuten waren vergangen, so kamen noch viel mehr Soldaten, Offiziere und Gensdarme herbei, Alle nach demselben Orte hin. Sie redeten und warfen mit den Armen um sich. Endlich sah ich, daß sie eine Bahre gemacht hatten und einen Menschen darauflegten. Dieser Mensch war – der Hauptmann.«
    »Ist’s wahr? Ist’s gewiß?« fragte der Vetter.
    »Ja. Ich sah es ganz deutlich an der Kleidung.«
    »So ist er da oben herabgestürzt?«
    »Höchst wahrscheinlich.«
    »War er todt?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ah! Wenn er doch todt wäre!«
    »Gut wäre es für Dich und auch für uns.«
    »Wo mögen sie ihn hinschaffen?« fragte die Alte.
    »Das kommt ganz darauf an, ob er todt ist oder ob er noch lebt. Ist er todt, so wird er irgendwo hier eingescharrt, oder sie schaffen seine Leiche sonst irgendwo hin. Lebt er aber noch, so bringen sie ihn sicherlich zu uns.«
    »Du lieber Herrgott!« rief die Frau erschrocken aus.
    »Ja, ganz gewiß, denn es giebt ja in der weiten Umgegend keine Wohnung als nur die unserige.«
    »Dann sind wir verloren!«
    »Noch nicht! Fasse Dich, Mutter! Es fragt sich, ob er uns verrathen wird.«
    »Ganz sicher, ganz gewiß! Schon aus purer Rachsucht, weil wir ihn fortgewiesen haben!«
    »Nur langsam! Wer von der Felsenplatte stürzt, der ist entweder todt, oder er befindet sich in einem Zustande, der das Sprechen ganz von selbst verbietet. Ich denke mir, daß – da, schaut, wer kommt?«
    »Mein Himmel! Der Oberförster und gar auch ein Obergensdarm!« rief die Frau, vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammenschlagend.
    »Donnerwetter, da muß ich mich verstecken!« rief der Vetter.
    Er wollte eiligst zur Stubenthür hinaus, aber der alte Köhler faßte ihn beim Arme, hielt ihn fest und sagte: »Halt, Vetter! Entweder ist es verrathen, daß er bei uns gewohnt hat und da magst Du die Folgen auch mit tragen, denn Du bist’s ja gewesen, der ihn zu uns gebracht hat. Oder es ist noch nichts verrathen und so kannst Du ruhig bleiben. Du wirst bei dieser Gelegenheit gleich erfahren, ob die Polizei nach Dir sucht oder nicht.«
    »Ich muß fort! Laß mich, Vetter, laß mich!«
    Während dieser Worte versuchte er, sich loszuringen, aber der Alte hielt ihn mit eiserner Gewalt fest und gebot: »Du bleibst! Es ist auch bereits zu spät. Schau, da sind sie ja schon an der Hausthür!«
    Der Wagner trat in die hinterste Ecke zurück. Er war vor Angst weiß wie Schnee. Jetzt wurde die Thür geöffnet und die beiden Genannten traten ein.
    »Guten Morgen!« grüßte der Obergensdarm. »Sie sind der Kohlenbrenner Hendschel?«
    »Ja, Herr.«
    Er sah sich um, erblickte die hier herrschende Armuth und erkundigte sich in Folge dessen:
    »Schlafen Sie auf einem Lager oder in Betten?«
    »In Betten.«
    »Wo sind diese?«
    »Droben in der Kammer.«
    »Hm! Wir haben da einen Verwundeten aufgegriffen, der so schwer verletzt ist, daß er unmöglich weitergeschafft werden kann. Wollen Sie ihn aufnehmen?«
    »Ja.«
    »Es wird Ihnen bezahlt werden.«
    »Ich thue meine Menschenpflicht.«
    »In der Kammer darf er nicht liegen. Schaffen Sie schleunigst ein Bett hier herein, hier in diese Ecke!«
    Die beiden Alten eilten, den Befehl zu erfüllen. Die Beamten setzten sich nieder; sie waren schnell gelaufen, um Zeit zu gewinnen. Der Obergensdarm wendete sich an den angstvoll in der Ecke Stehenden: »Gehören Sie auch mit ins Haus?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Wieso?«
    »Ich bin nur auf Besuch hier.«
    »Wo sind Sie her?«
    »Aus Obersberg.«
    »Ah, Obersberg! Was sind Sie? Doch nicht auch Köhler, denn Kohlenbrenner giebt’s dort nicht.«
    »Nein, ich bin Wagner.«
    »Und wie heißen Sie?«
    »Hendschel.«
    »Also wie der Köhler hier? So sind Sie mit ihm verwandt?«
    »Ja, wir sind Vettern.«
    »So, so!«
    Nach diesen zwei freundlich-gleichgiltigen Sylben wendete er sich ab, dem alten Hendschel zu, der jetzt mit seiner Frau die Betten hereinbrachte.
    Dem Wagner war es, als ob ihm der schwerste Mühlstein vom Herzen gefallen sei. Der Obergensdarm

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