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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Glas Apfelwein.«
    »Gern. Mit Roastbeef, Sir? Wäre Ihnen das recht?«
    »Ja, das wäre mir recht. Um wie viel Uhr legen wir in Saint Malo an?«
    »Gegen fünf, Sir. Aber die Passagiere dürfen bis sieben Uhr an Bord bleiben.«
    »Vielen Dank.« Innerlich stöhnte Pitt auf. Das bedeutete, dass er und Gower schon ab fünf Uhr wach sein und die Augen offenhalten mussten, damit Wrexham ihnen nicht entkam. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er sich entschloss, die Fähre gleich nach der Ankunft zu verlassen, um den nächsten Zug nach Paris zu nehmen. Wenn ihm das gelang, wäre das eine Katastrophe, und um sie zu verhindern, würden sie die ganze Nacht nicht richtig schlafen können, um keinesfalls den Zeitpunkt der Ankunft zu verpassen. Da Pitt auf eine längere Abwesenheit von zu Hause nicht eingestellt gewesen war, hatte er selbstverständlich auch keinen Wecker bei sich.

    »Bringen Sie mir besser gleich zwei Gläser Apfelwein«, sagte er mit schiefem Lächeln. Ob Gower dasselbe bestellen würde? Er hatte keine Vorstellung davon, wo sich sein Mitarbeiter befand, und wollte auch niemandes Aufmerksamkeit auf sich lenken, indem er sich nach ihm umsah. Vielleicht später. Wrexham konnte mit Sicherheit so tief und so lange schlafen, wie er wollte. Einen Menschen wie ihn quälten bestimmt keine durch ein schlechtes Gewissen verursachten Alpträume.
     
    Pitt schlief mit Unterbrechungen. Voll Unruhe sah er Gower über das Deck auf sich zukommen, als sich die Fähre langsam in den Hafen von Saint Malo schob. Zwar war es noch dunkel, doch dank des sternklaren Himmels konnte man den Umriss der mittelalterlichen Befestigungsanlagen erkennen. Die Mauer war sicher mindestens fünfzehn, wenn nicht achtzehn Meter hoch, und in Abständen erhoben sich hier und da gewaltige Türme, die einst wohl Bogenschützen verteidigt hatten. Vielleicht hatten auch Männer in Rüstungen von dem einen oder anderen dieser Türme Kessel voll siedendem Öl über jeden ausgegossen, der den tapferen oder törichten Versuch unternommen hatte, die Mauern mit Hilfe von Sturmleitern zu erklimmen. Pitt kam sich vor wie bei einer Zeitreise in die Vergangenheit.
    Der Anblick hatte ihn so in seinen Bann geschlagen, dass ihn erst Gowers Stimme in die Wirklichkeit zurückholte.
    »Sie sind doch wach?«, fragte er.
    »Ich weiß es selbst nicht genau«, gab Pitt zurück. »Das Ganze kommt mir wie ein Traum vor.«
    »Haben Sie geschlafen?«
    »Ein bisschen. Und Sie?«
    Gower zuckte die Achseln. »Nicht viel. Ich hatte zu große Sorge, dass er uns entkommen könnte. Glauben Sie, dass er versucht, den ersten Zug nach Paris zu nehmen?«

    Das war eine durchaus berechtigte Frage. Die Weltstadt Paris war eine Brutstätte von Lehren der verschiedensten Art, von teils absurden und teils verwirklichbaren Träumen. Eine ideale Begegnungsstätte für Menschen, deren Ziel es war, die Welt zu verändern. Paris war Schauplatz der beiden großen Revolutionen der letzten hundert Jahre gewesen: Bei der ersten hatte dort die Guillotine entsetzlich gewütet, es waren aber auch Träume verwirklicht worden, die die Welt verändert hatten. Ihm kamen die Namen Marat, Danton, Robespierre und Charlotte Corday in Erinnerung. Die zweite, die des Jahres 1848, war blutig niedergeschlagen worden und hatte so gut wie keine Spuren hinterlassen.
    »Wahrscheinlich«, gab Pitt zurück. »Aber er könnte unterwegs an jedem beliebigen Bahnhof aussteigen.« Ihm kam der Gedanke, dass es äußerst schwierig sein dürfte, jemandem in Paris auf den Fersen zu bleiben. Sollten sie den Mann vielleicht doch festnehmen, solange noch Gelegenheit dazu war? Im Eifer der Verfolgung hatten sie es am Vortag für klug gehalten zu sehen, wohin er sich wandte und, wichtiger noch, wen er treffen würde. Jetzt, durchgefroren, müde, hungrig und mit steifen Gliedern, sah Pitt das als weit weniger vernünftig an. Wahrscheinlich war es sogar sinnlos.
    »Es dürfte das Beste sein, ihn festzunehmen und mit zurück zu nehmen«, sagte er.
    »Dann müssen wir das aber noch hier auf der Fähre tun. Auf französischem Boden sind wir dazu nicht berechtigt. Vermutlich würde sich der Kapitän ohnehin fragen, warum wir das nicht gleich in Southampton getan haben«, gab Gower zu bedenken. Seine Stimme klang eindringlich, sein Gesicht war ernst. »Ich spreche ziemlich gut Französisch, Sir. Und ich habe noch genug Geld. Wir könnten Mister Narraway ein Telegramm schicken, dass er uns in Paris jemanden zur Unterstützung beigeben

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