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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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im April ist es nachts ziemlich kalt.«

    Pitt machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Ihre Aufgabe würde nicht nur zeitraubend sein, sondern vermutlich auch recht langweilig. Er dachte an sein Zuhause und die beiden Kinder Jemima und Daniel. Er vermisste sie, vor allem aber Charlotte, den Klang ihrer Stimme, ihr Lachen, die Art, wie sie ihn ansah. Obwohl sie bereits seit vierzehn Jahren verheiratet waren, überraschte es ihn immer wieder, dass sie es nie bereut hatte, für ihn ihr Leben in der gehobenen Londoner Gesellschaft aufgegeben zu haben. Immerhin war damit nicht nur eine erhebliche finanzielle Sicherheit verbunden gewesen, die sie von klein auf gewöhnt war, sondern sie hatte auch eine ganze Reihe von Vorrechten gehabt sowie eine Kutsche und Dienstboten, hatte an großen Empfängen und rauschenden Bällen teilnehmen können.
    Statt eine Vernunftehe einzugehen, wie in solchen Kreisen üblich, hatte sie aus Liebe geheiratet und ihm das auf mancherlei Weise deutlich gemacht. Sie sprachen nie darüber, dass sie damit alle Vorzüge ihres früheren Daseins gegen ein zweckbestimmtes und auf andere Weise interessantes Leben eingetauscht hatte, denn das wäre taktlos gewesen. Häufig hatte sie inoffiziell an seinen Fällen mitgearbeitet und sich dabei als ausgesprochen anstellig und einfallsreich erwiesen. Seit er für den Sicherheitsdienst arbeitete, kam das weniger häufig vor, da ein großer Teil seiner Aufträge strenger Geheimhaltung unterlag.
    Ob er wagen durfte, auch ihr ein Telegramm zu schicken? In dieser fremden Welt, einer Straße in Frankreich, die so gänzlich anders roch und klang als Straßen zu Hause, umgeben von einer Sprache, die er so gut wie nicht verstand, sehnte er sich nach dem Vertrauten. Doch das Telegramm an Narraway war an eine nichtssagende Adresse gegangen, der Wrexham nichts würde entnehmen können, falls er sich danach erkundigte. Um mit Charlotte Verbindung aufzunehmen, würde
Pitt seine eigene Anschrift angeben müssen und sich damit eine Blöße geben. Der Preis dafür wären Sorgen, Angst und im schlimmsten Fall sogar der Tod geliebter Menschen. Unter keinen Umständen durfte er, nur weil er gut gefrühstückt hatte und sich in einer friedlich in der Aprilsonne daliegenden Straße befand, vergessen, wie West mit durchschnittener Kehle auf dem Hof der Ziegelei gelegen und sein Blut auf dem Boden eine kleine Lache gebildet hatte.
    »Ja, so machen wir es«, sagte er zu Gower. »Anschließend werden wir versuchen, unauffällig möglichst viel über diesen Frobisher in Erfahrung zu bringen.«
     
    Das Haus Nummer sieben in der Rue St. Martin ließ sich mühelos überwachen, denn es stand nahe der zur Seeseite hin hoch aufragenden Stadtmauer, und keine fünfzig Schritt von ihm entfernt führte eine Treppe zum Rundweg auf dieser Mauer. Von dort aus hatte man einen herrlichen Blick auf die See und den sich ständig verändernden Horizont, wo Boote mit geschwellten Segeln gegen den Wind kreuzten. Da am Rande der Bucht eine Vielzahl malerischer Felsen aufragte, mussten die Segler darauf achten, sich von ihnen fernzuhalten. Während Pitt und Gower miteinander redeten, war es ganz natürlich, dass sie sich von Zeit zu Zeit auf die Ellbogen stützten und auf die Straße und den Platz mit dem Haus Nummer sieben hinabsahen. Das ermöglichte es ihnen, auf unauffällige Weise festzustellen, wer da kam und ging.
    Gleich am Nachmittag suchte Pitt noch einmal das Postamt auf. Dort lag bereits eine Geldanweisung über einen Betrag, der ihnen mindestens für zwei Wochen reichen würde, sowie ein Telegramm von Narraway, das keinen Hinweis auf West oder auf Informationen enthielt, die Narraway möglicherweise über ihn bekommen hatte. Doch damit hatte Pitt auch nicht gerechnet. Auf dem Rückweg zu dem kleinen Platz
kam er an zwei Hausfrauen mit Einkaufskörben und einer jungen Frau in einem leuchtend roten Kleid vorüber. Er stieg erneut die Treppe zur Mauerkrone empor, wo Gower das Gesicht nach Westen gerichtet hielt, der allmählich untergehenden golden schimmernden Sonne zugekehrt, wobei es aussah, als lächele er mit geschlossenen Augen ins Licht. Er erweckte ganz den Eindruck eines typischen jungen Engländers, der Ferien machte.
    Den Blick auf das Wechselspiel des Lichts auf den Wellen gerichtet, sagte Pitt mit leiser Stimme: » Wir haben eine Antwort auf unser Telegramm und auch Geld bekommen. Angesichts der Höhe des Betrages scheint unser Vorgesetzter zu erwarten, dass wir hier am Ort

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