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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wolle er dort ablesen, was er dachte.
    Pitt hoffte, dass das nicht so einfach sein würde. Er musste daran denken, wie er mit seinen Versuchen, Narraways Gedanken zu erraten, meist Schiffbruch erlitten hatte.
    » Wir wissen, worum es geht«, sagte er ruhig. Geheimniskrämerei hatte keinen Sinn. Während er das sagte, kam er sich vor wie jemand, der auf einer Klippe stand, um von dort in die unbekannte Tiefe zu springen.
    »Ja, Sir …« Stoker blieb starr stehen, sein Gesicht war bleich. Er hielt noch das Schriftstück in den Händen, in dem er bei Pitts Eintreten gelesen hatte.

    Pitt holte Luft. »Mr Narraway ist aus Irland zurück.« Er erkannte die Erleichterung in Stokers Augen, die zu groß war, als dass dieser sie hätte verbergen können, und fuhr daraufhin mit einer gewissen Beruhigung fort: » Wie es aussieht, haben wir Grund zu der Annahme, dass man bereits begonnen hat, einen umfangreichen gewalttätigen Plan ins Werk zu setzen. Es steht zu befürchten, dass die Leute, deren gemeinsames Auftreten beobachtet wurde, wie beispielsweise Willie Portman, Fenner, Guzman und so weiter, die Absicht haben, in Osborne House gegen Ihre Majestät vorzugehen …«
    »Großer Gott im Himmel!«, stieß Stoker hervor. »Die planen doch wohl keinen Königsmord?«
    Pitt verzog das Gesicht.
    »Dazu dürfte es höchstens unabsichtlich kommen. Wir vermuten, dass die Leute Ihre Majestät als Geisel festhalten, um den Erlass eines Gesetzes zur Abschaffung der Vorrechte des Erbadels im Oberhaus zu erzwingen. Vermutlich würde sie ein solches Gesetz eher unterzeichnen als ihre eigene Abdankungsurkunde …«
    Stokers Gesicht war aschfahl. Er sah Pitt an wie eine Erscheinung aus einem Alptraum. Er schluckte zweimal. »Und dann? Wird man sie danach umbringen?«
    Pitt hatte ganz bewusst nicht so weit gedacht. Möglicherweise wäre das in der Tat folgerichtig. Die Menschen in Großbritannien wie auch im größten Teil der Welt würden Viktoria als Königin ansehen, solange sie lebte, ganz gleich, was diese oder jene sagen oder tun mochten. Pitt hatte nicht angenommen, dass sich die Situation verschlimmern könnte, aber mit einem Schlag stand diese Möglichkeit vor ihm.
    »Ja, es ist denkbar«, stimmte er zu. »Mr Narraway hat mit Lady Vespasia Cumming-Gould Osborne House aufgesucht, wo sie versuchen wollen zu retten, was zu retten ist, bis wir die
Möglichkeit haben, Verstärkung hinzuschicken, um die Situation in den Griff zu bekommen.«
    Stoker rang sichtlich um Fassung.
    »Das aber ist uns erst möglich, wenn wir wissen, auf wen wir uns verlassen können«, fügte Pitt hinzu. »Die Gruppe muss klein bleiben, damit die Sache nicht auffällt. Falls wir mit einem halben Armeekorps da aufkreuzten, würde das die Leute höchstwahrscheinlich zu sofortiger Gewalttat provozieren. Oder sie werden, wenn sie merken, dass sie in die Ecke getrieben sind und nicht entkommen können, danach trachten, sich ihre Freiheit mit dem Leben der Königin zu erkaufen. « Er spürte, wie ihm bei diesen Worten ein Kloß in die Kehle stieg. Er stand im Begriff, den Kampf mit einem Gegner aufzunehmen, über den er so gut wie nichts wusste. Hinzu kam, dass – im Unterschied zu ihm – einige seiner eigenen Leute dessen Geheimnisse kannten. Einen Augenblick lang erfasste ihn Verzweiflung. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Jede Möglichkeit zu handeln schien von vornherein den Keim des Scheiterns in sich zu tragen.
    » Wir müssen versuchen, sie mit einer Handvoll gut ausgebildeter Bewaffneter zu überraschen«, sagte Stoker ruhig.
    »Ja, das dürfte unsere einzige Hoffnung sein«, gab ihm Pitt Recht. »Aber vorher müssen wir den Verräter hier in Lisson Grove ermitteln und feststellen, wer seine Verbündeten sind, da sonst die Gefahr besteht, dass jede unserer Bemühungen von vornherein sabotiert wird.«
    Stokers Hand ballte sich zur Faust. » Wollen Sie damit sagen, dass es mehr als einen gibt?«
    »Sie etwa nicht?«
    »Ich weiß nicht recht.« Stoker fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich weiß es tatsächlich nicht, und wir haben auch keine Zeit, es herauszubekommen. Das könnte Wochen in Anspruch nehmen.«

    »Es muss aber sehr viel schneller gehen«, gab Pitt zurück, zog einen Stuhl heran und setzte sich. » Wir müssen bis heute Abend eine Entscheidung treffen.«
    »Und wenn wir uns dabei irren?«, fragte Stoker.
    »Das dürfen wir nicht«, erwiderte ihm Pitt. »Es sei denn, Sie wollen, dass es erneut durch einen Mord zur Gründung einer

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