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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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eventuellen Verfolger zu enttarnen, selbst wenn ich ihn nicht auf Anhieb entdecken konnte.
    Ich fuhr mit der Rolltreppe in den ersten Stock und blieb vor einem Geldautomaten stehen, als wollte ich Bargeld ziehen. Bei den vielen Besuchern, die sich auf den Weg zu den Kasinos machen, ein ganz normales Verhalten. Ich blickte kurz nach hinten zur Rolltreppe, die ich gerade benutzt hatte, und sah einen Araber darauf hochkommen. Der dicke Brocken, der bärtige Riese, der mir schon am Morgen aufgefallen war. Mittlerweile waren die Sonnenbrille und das teure Jackett schon ein vertrauter Anblick. Himmel, sie hätten auch gleich Uniform tragen können. Hallo, ich bin Abdul, ich bin heute für Ihre Ermordung zuständig.
    Sie waren wahrscheinlich nervös geworden, weil das Hongkong-Team sich nicht mehr meldete, und hatten sicherheitshalber diesen Kerl wieder hier postiert. Oder aber er hatte den ganzen Tag hier gewartet. Egal. Er hatte mich gesehen. Als nächstes würde er seine Partner in Macau anrufen, falls er das nicht schon getan hatte. Und damit wäre die schöne Überraschung dahin, die ich für sie geplant hatte. Ich würde improvisieren müssen.
    Falls er verblüfft war, mich zu sehen – und davon ging ich eigentlich aus –, so ließ er es sich nicht anmerken. Er schaute sich um, verhielt sich lässig, wie ein einfacher Tourist, der zum ersten Mal in Macau ist und das Terminalgebäude bestaunt.
    Wieso haben die mich nicht angerufen? Ich wusste, dass er sich die Frage stellte. Die sollten mich doch anrufen, wenn er zurückkommt, genau wie ich sie angerufen habe, um ihnen zu sagen, dass er unterwegs war.
    Weil Tote nicht telefonieren, Freundchen. Gleich wirst du das verstehen.
    Ich ging nach draußen auf den weiten Platz vor dem Eingang des ersten Stocks und schlenderte ein paar Meter auf die Fußgängerbrücke zu. Dann blieb ich stehen und schaute nach hinten.
    Er war gerade durch den rechten Ausgang auf den Platz getreten und wollte sein Handy ans Ohr heben, da drehte ich mich um. Er ließ er das Handy sinken und blieb stehen, als interessierte er sich plötzlich für eine nicht vorhandene Aussicht.
    Ich nickte ihm zu und winkte kurz, als wollte ich sagen: Ach, da sind Sie ja, schön, Sie zu sehen. Ich ging auf ihn zu.
    Sein Kopf rutschte ein bisschen tiefer, und sein Körper verkrampfte sich, die international verbreitete Reaktion, wenn jemand beim Beschatten erwischt wird. Das ist schwer zu beschreiben, aber es sieht ein bisschen so aus wie bei einem entkleideten Patienten, wenn der Onkel Doktor ein besonders spitzes Instrument zur Hand nimmt und sagt: Das tut jetzt gleich ein bisschen weh. Er sah sich um, blickte dann wieder mich an, mimte einigermaßen gekonnt den Fremden, der sich fragt: Wie bitte? Meinen Sie mich? Kennen wir uns irgendwoher?
    Ich ging geradewegs auf ihn zu und sagte leise auf Englisch: »Gut, dass Sie da sind. Mir ist gesagt worden, ich soll unten warten, in der Ankunftshalle, aber da hab ich Sie nicht gesehen.«
    Er schüttelte den Kopf. Seine Lippen zuckten, aber er gab keinen Laut von sich.
    »Das Ganze ist ein Missverständnis«, sagte ich. »Ich bin nicht der, den Sie meinen.«
    Seine Lippen zuckten noch ein bisschen mehr.
    Scheiße, dachte ich, der versteht dich nicht. Das hatte ich nicht bedacht.
    »Sie sprechen doch Englisch, oder?«, fragte ich. »Mir ist gesagt worden, Sie könnten Englisch.«
    »Ja, ja«, stammelte er. »Ich spreche Englisch.«
    Ich blickte rasch nach rechts und links, als wäre ich plötzlich unruhig geworden, dann fixierte ich ihn und kniff nervös die Augen zusammen. »Sie sind doch der Richtige, oder? Die haben gesagt, jemand würde mich hier erwarten.«
    »Ja, ja«, wiederholte er. »Ich bin schon der Richtige.«
    So oft hintereinander »Ja«. Die Sache ließ sich gut an.
    Ein Grüppchen von drei Hongkong-Chinesen kam aus dem Terminal. Ich beobachtete, wie sie an uns vorbeigingen, als hätte ich Angst, dass sie uns belauschen könnten, dann sagte ich. »Reden wir da drüben weiter.« Ich deutete auf die Seitenmauer des Terminals, wo man uns von innen nicht würde sehen können. Ich machte ein paar Schritte in diese Richtung und wartete. Einen Moment darauf folgte er mir.
    Verdammt, wenn ich ihn nur noch ein Stückchen weiter manövrieren könnte, zu einem noch verschwiegeneren Plätzchen, könnte ich ihn vielleicht sogar ausfragen. Das wäre ideal, aber auch wesentlich riskanter als die relativ unkomplizierte Maßnahme, die mir vorschwebte* Ich überlegte einen

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