Der Verrat
musste. So weit, so gut.
Vor der Lobby bog ich in das Hotelcafé ab. Da ich auf der Rückseite des Mandarin Oriental niemanden gesehen hatte, wusste ich, dass die Eingänge nicht überwacht wurden. Das wiederum hieß, dass die Fahrstühle die nächste Engstelle waren. Und es gab nur einen Punkt, wo man in aller Ruhe warten und die Fahrstühle beobachten konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen: auf der Seite des Cafés, die direkt an die Lobby grenzte. Als ich eintrat, sah ich zuallererst dort nach.
Da saß Delilah. Sie trug einen schwarzen Rock mit einer cremefarbenen Seidenbluse und hatte eine Kanne Tee und ein aufgeschlagenes Buch vor sich.
Gottverdammt, dachte ich. Hab ich doch Recht gehabt. Mein erster Impuls, als ich den Araber am Morgen in der Lobby entdeckt hatte, war ja gewesen, Delilah zu verdächtigen. Dann hatte ich versucht, es mir wieder auszureden. Und jetzt wurde mir klar, dass ich es wohl einfach akzeptieren musste. Der schöne Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten« ist naiv. Jedenfalls in meiner Branche.
Sie schaute auf und sah mich kommen, ehe ich bei ihr war.
»Ich warte schon den ganzen Tag auf Sie, verdammt noch mal«, sagte sie.
Das ließ mich innehalten. »Ich glaube Ihnen jedes Wort«, sagte ich und sah mich um.
»Doch, wirklich. Um Ihnen zu sagen, dass Sie nicht in Ihr Zimmer gehen können. Da wartet jemand auf Sie.«
Ich betrachtete sie forschend. »Ach ja?«
Sie erwiderte meinen Blick. »Glauben Sie mir nicht?«
Plötzlich war ich mir wieder unsicher. Und das war frustrierend. Normalerweise weiß ich genau, was ich tun muss, und tu es einfach.
»Vielleicht ja doch«, sagte ich. »Geben Sie mir Ihr Handy.«
Ihre Augen verengten sich kaum merklich. Dann zuckte sie die Achseln. Sie griff in ihre Handtasche und zog ein Nokia 8910 heraus, das schlanke Titanium-Modell.
Ich öffnete das verschiebbare Tastenfeld und das Display leuchtete auf. Der Anbieter war Orange, eine französische Firma, und das Interface war auf Französisch. Ich überprüfte die Anrufliste. Keine Einträge – sie hatte es gelöscht. Das wunderte mich nicht, sie war clever. Ich schaltete das Gerät aus und dann wieder an. Als es erneut zum Leben erwachte, erschien die Rufnummer auf dem Display. Sie war mir unbekannt. Jedenfalls keine von den Nummern, die in dem Handy gespeichert waren, das ich dem Typen in Sham Shui Po abgenommen hatte.
Das alles bewies jedoch noch gar nichts. Vielleicht hatte sie noch ein zweites Handy. Ich hätte mir ihre Handtasche zeigen lassen und durchsuchen können. Aber wenn ich nichts gefunden hätte, hätte ich mich nur gefragt, ob sie das andere Handy im Hotelzimmer gelassen oder irgendwo versteckt hatte oder was auch immer. Ich wusste ja, dass sie stets mehrere Schritte im Voraus dachte.
Ich gab ihr das Gerät zurück. »Wer ist in meinem Zimmer?«
»Ich weiß nicht. Ich vermute, dass es irgendwas mit dem Grund zu tun hat, warum Sie in Macau sind.«
»Wenn Sie es nicht wissen –«
»Ich hab ihn zufällig heute Morgen in der Hotellobby gehört. Er sprach Arabisch und ging davon aus, dass ihn niemand in der Nähe verstehen konnte.«
Ich hob die Augenbrauen. »Sie sprechen Arabisch?«
Sie antwortete mit etwas Unverständlichem, das sich in meinen Ohren wie Arabisch anhörte.
»Okay«, sagte ich. »Erzählen Sie mir, was Sie aufgeschnappt haben.«
»Er hat gesagt, er würde in Ihrem Zimmer warten, für den Fall, dass Sie unerwartet aus Hongkong zurückkommen. Er hat keinen Namen genannt, aber ich wüsste nicht, wen er sonst gemeint haben könnte.«
Ich überlegte. Es ist gar nicht so schwer, in ein Hotelzimmer einzudringen, wenn man ein wenig Fantasie hat und sein Handwerk versteht. Aber natürlich hätte ich noch vor meinem Eintreten gemerkt, dass er da drin war. Am Morgen hatte ich, während Keiko schon in der Lobby auf mich wartete, unten zwischen Tür und Türrahmen ein Haar geklebt, wie ich das möglichst immer tue, wenn ich ein Zimmer verlasse, in dem ich wohne. Ich hatte das Bitte-nicht-stören-Schild an die Tür gehängt, damit die Zimmermädchen meine kleine Sicherheitsvorkehrung nicht kaputt machten. Wenn das Haar bei meiner Rückkehr zerrissen gewesen wäre, hätte ich gewusst, dass sich jemand Einlass verschafft hatte und vielleicht noch immer drin war.
»Und warum warnen Sie mich?«, fragte ich.
Sie schaute einen langen Augenblick weg und sah mich dann wieder an. »Ich glaube, Ihre Tarnung ist aufgeflogen«, sagte sie. »Vergessen Sie Ihren Auftrag.
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