Der Verrat
zusammen: Die rechte Hälfte war leicht verzerrt, und das Auge blickte starr in unergründliche Fernen.
»Setzt Euch bitte zu uns«, sagte Fürst Niu, und die linke Hälfte seines verzerrten Mundes lächelte Hirata an.
Nachdem Hirata und seine Familie sich in der Loge niedergelassen hatten, saß Midori angespannt da, von schrecklicher Angst erfüllt. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals; sie wagte nicht, einem der Anwesenden in die Augen zu sehen. Bitte macht, dass unsere Familien mit der Ehe einverstanden sind, betete sie stumm zu den Göttern. Falls die Nius und Hiratas sich nicht einig wurden, stand Midori ein schreckliches Schicksal bevor, denn sie hatte ein Geheimnis, von dem niemand wusste.
Da sowohl Hirata als auch Midori enge persönliche Beziehungen zu Reiko und Sano besaßen, waren sie einander oft nahe gewesen und hatten mehr Zeit zusammen verbracht als bei ledigen jungen Leuten aus vornehmer Familie üblich. Sie hatten dies ausgenutzt, um ihre Bekanntschaft heimlich zu vertiefen. Bald hatten sie sich in einsamen Gärten und leeren Lagerhäusern getroffen, und mit der Zeit waren aus keuschen Umarmungen intime Stunden voller Leidenschaft geworden.
Nun erfüllten Scham und Furcht Midori, als sie an einen Abend im vergangenen Sommer dachte, als sie und Hirata nach lustvollen Umarmungen nackt und erschöpft unter einer Kiefer gelegen hatten, übergossen vom roten Licht der untergehenden Sonne. Schuldgefühle trübten diese Erinnerung; nun wünschte Midori sich sehnlichst, sie und Hirata hätten damals ihre Lust gezügelt. Denn seit jenem Abend waren ihre Monatsblutungen ausgeblieben, und sie litt unter Übelkeitsanfällen. Midori hatte einen roten Faden durch ein Nadelöhr gezogen und die Nadel dann in eine Wand des Aborts gesteckt, in der Hoffnung, dass dieser alte Heilzauber bewirkte, dass die Blutungen wieder einsetzten und die Übelkeit schwand, doch ohne Erfolg.
Sie war schwanger.
Nun lauschte Midori, wie die Familien einander höflich begrüßten. Niemand wusste von ihrem Problem, auch nicht Hirata. Nicht einmal ihm hatte Midori von ihrer Schwangerschaft erzählt, denn sie wollte ihre Schande nicht gestehen. Vor allem durfte nicht bekannt werden, dass sie ein uneheliches Kind zur Welt bringen und ihre Ehre beschmutzen würde, falls die Ehe zwischen ihr und Hirata nicht zu Stande kam – was Midori und ihr Kind zu verachteten, rechtlosen Außenseitern machen würde.
»Eure Familie hat eine stolze Geschichte, nicht wahr?«, sagte Fürst Niu zu Hiratas Vater. »Wie ich hörte, dient Eure Familie den Shōgunen seit vierhundert Jahren, seit den Zeiten des Kamakura-Regimes.«
»So ist es.«
Hiratas Vater wirkte finster und einschüchternd auf Midori. Nun aber war ihm anzusehen, wie sehr es ihn mit Stolz erfüllte, dass der daimyō seine Herkunft kannte und schätzte. Midori atmete auf. Wie es schien, würde der miai in entspannter Atmosphäre ablaufen.
»Und Ihr habt Euch bei der Polizei von Edo einen Namen gemacht.« Fürst Niu zeigte wieder sein verzerrtes Lächeln. »Es sind Männer wie Ihr, die für Ruhe und Ordnung in der Bevölkerung gesorgt haben, sodass Edo zu der wundervollen Hauptstadt heranwachsen konnte, die sie heute ist.«
»Diese Worte sind ein großes Lob für mich, zumal sie von Euch kommen, dem Herrscher über eine ganze Provinz«, entgegnete Hiratas Vater, der sich offenbar für den daimyō erwärmte. »Eure Höflichkeit ist mehr, als ich verdient habe.«
Fürst Niu kicherte voller Selbstironie. »Ach, ich bin bloß der bescheidene Aufseher eines Landguts, das die Tokugawa als angemessen für mich betrachtet haben.« Er wandte sich Hirata zu. »Und Ihr seid also der oberste Gefolgsmann des sōsakan-sama .«
»Ja, Herr«, sagte Hirata respektvoll, hielt sich aber kerzengerade. Dankbar beobachtete Midori, wie viel Mühe er sich gab, ihrem Vater als würdiger Ehemann für seine Tochter zu erscheinen.
»Dass der sōsakan-sama einen so jungen Mann wie Euch mit einer solch verantwortungsvollen Aufgabe betraut hat, spricht für Euren Charakter«, sagte Fürst Niu. Sein linkes Auge betrachtete Hirata, während das rechte ins Nichts starrte. »Wie mir zu Ohren kam, sucht Ihr zurzeit den Mörder des Fürsten Mitsuyoshi. Was habt Ihr bis jetzt herausgefunden?«
Hirata errötete und räusperte sich. Dann berichtete er vom Stand der Ermittlungen, von den Verdächtigen und davon, dass Wisterie mitsamt ihrem Tagebuch verschwunden war.
Fürst Niu nickte zufrieden. »Aus Euch sprechen
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