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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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da stand er, hübsch und kräftig, und bedachte mich mit einem geheimnisvollen Lächeln.
    »Wer seid Ihr?«, fragte ich ängstlich und außer Atem vom schnellen Lauf. »Was wollt Ihr?«
    »Ich bin der Hirtenjunge«, sagte er mit einem seltsamen Akzent. »Ihr seid das Webermädchen. Und heute haben wir uns endlich am Fluss des Himmels getroffen.«
    Er bezog sich auf das Märchen von zwei Sternbildern, die Geliebte sind und sich einmal im Jahr, im Herbst, am Himmel begegnen. Ich habe schon viele Männer poetische Dinge sagen hören, und manche haben auch von diesem Märchen gesprochen. Meist lache ich im Stillen darüber, wie geschwollen es sich anhört. Dieser Fremde aber hatte irgendetwas an sich, dass ich seine Worte ganz und gar nicht lächerlich fand. Stattdessen bekam ich Herzklopfen und weiche Knie. Wir standen da und blickten einander in die Augen. Plötzlich hörte ich meine yarite nach mir rufen.
    »Ich muss gehen«, sagte ich.
    Er nickte und verneigte sich, und ich ging.
    Doch wir hatten uns schon ineinander verliebt.
     
    Er ist aus Hokkaido, aus dem hohen Norden. Deshalb hört er sich so fremdartig an. Ich möchte seinen Namen hier nicht niederschreiben, denn jemand könnte das hier lesen; deshalb will ich den Namen lieber für mich behalten. Ich will nicht, dass jede Klatschbase in Yoshiwara sich das Maul über uns zerreißt. Seit unserer ersten Begegnung in der Gasse haben wir uns oft dort getroffen, stets im Geheimen, denn er hat kein Geld, um ein Treffen mit mir in einem ageya zu bezahlen. Deshalb schleiche ich mich bei Feiern davon und treffe ihn in der Gasse, wo er jedes Mal auf mich wartet, oder ich steige ganz leise die Treppe hinunter, wenn mein Kunde schläft, und lasse ihn durch die Hintertür ein. Dann lieben wir uns hinter dem Wandschirm in meinem Gemach, wobei wir stets darauf achten, leise zu sein, sodass mein Kunde nicht aufwacht.
    Gestern, nachdem wir uns geliebt hatten und im Mondschein beieinander lagen, flüsterte er: »Im Winter türmt der Schnee in Hokkaido sich so hoch, dass er manche Häuser unter sich begräbt.«
    Er streichelt mir über die Hüfte. »Dein Körper ist so weiß und rein und wunderschön wie der Schnee in Hokkaido. Ich wünschte, ich könnte dir Hokkaido im Winter zeigen. Würdest du gern dorthin gehen?«
    Das Herz strömte mir vor Freude über, denn ich wusste, dass er mich fragte, ob ich mit ihm fortgehen wolle. »In Hokkaido wärst du meine Gemahlin«, sagte er. »Du müsstest nie mehr an diesen Ort der Schande und des Leidens zurück.«
    »Aber du hast kein Geld, um mir die Freiheit zu erkaufen«, sagte ich. »Und anders gibt es aus Yoshiwara kein Entrinnen.«
    »Die Liebe wird einen Weg finden«, sagte er und lächelte.
     
    Heute ist die Nacht der Nächte!
    Unsere Pläne sind abgeschlossen. Ich werde ein Schlafmittel in Fürst Mitsuyoshis Wein geben. Sobald er eingeschlafen ist, werde ich mich zu meinem Geliebten davonstehlen, und wir werden für immer aus Yoshiwara fliehen. Ich weiß, dass es ein gefährliches Unterfangen ist, aber mein Geliebter ist klug und gerissen, und er hat Freunde, die uns helfen werden. Es gibt da einen Mann, der ein Teehaus in Suruga besitzt. Er wird uns aufnehmen, bis ich mir neue Kleidung gekauft habe und mein Geliebter Geld und Vorräte für die Reise beschafft hat. Sollte das Teehaus sich als ein zu unsicherer Aufenthaltsort erweisen, können wir in eine Nudelküche in Fukagawa ausweichen, wo man ebenfalls bereit ist, uns aufzunehmen. Aber wir werden nicht lange in der Gegend um Edo bleiben. Bald sind wir auf der Fernstraße in Richtung Norden unterwegs, zum weißen Schnee von Hokkaido!
    Ich bin schrecklich aufgeregt.
    Wie soll ich bloß die langen Stunden bis zur Nacht ertragen, wenn mein Geliebter zu mir kommt? Ach, Freiheit!
     
    Nun lagen die Seiten aus dem Tagebuch auf Sanos Pult. Schweigend saß er mit Reiko und Hirata in seiner Schreibstube, nachdem sie Wisteries Geschichte gelesen hatten. Erwartungsvoll blickten sie einander an.
    »Das könnte der Schlüssel sein, Wisterie zu finden und den Fall zu lösen«, sagte Sano schließlich, während in seinem Innern Hoffnung und Vorsicht im Wettstreit lagen.
    »Und wir haben diesen Schlüssel in die Hand bekommen, als wir ihn am dringendsten brauchten«, meinte Hirata.
    Als Sano spät an diesem Abend aus Yoshiwara heimgekehrt war, hatte Reiko auf ihn gewartet. Kurz darauf war auch Hirata erschienen, und sie hatten die Ergebnisse ihrer bisherigen Nachforschungen besprochen, die an

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