Der Verrat
steckte.
Hirata betrat das Teehaus und kniete sich neben die Frau. »Guten Abend, Nobuko- san .«
Die Frau wandte ihm ihr derbes, wenig anziehendes Gesicht zu. »Wie schön, Euch wiederzusehen«, sagte sie und lächelte mit vorstehenden Zähnen.
»Was führt Euch hierher?« Hirata zeigte auf die drei tanzenden Mädchen. »Müsst Ihr wieder mal Töchter an den Mann bringen?«
»So ist es«, antwortete Nobuko mit einem abgrundtiefen Seufzer. »Gleich drei Stück auf einmal! Warum haben die Götter mich mit fünf Mädchen gestraft? Wenn sie nicht bald heiraten, werden wir alle verhungern.« Hoffnungsvoll fügte sie hinzu: »Braucht Ihr eine Frau?«
»Nein danke. Aber ich brauche Eure Hilfe.« Hirata erzählte ihr, dass er im Mord an Fürst Mitsuyoshi ermittelte, und schloss die Frage an: »Was habt Ihr darüber gehört?«
Nobuko, die sonst für jeden Klatsch und Tratsch zu haben war, zögerte. Dann hob sie ihren Fächer vor den Mund, beugte sich zu Hirata hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Man erzählt sich, dass Fürst Mitsuyoshi in ganz Yoshiwara Schulden hatte, weil die Familie ihm die Geldzuteilung gestrichen hatte. Aber niemand konnte einem Mann wie ihm seine Wünsche verweigern oder ihn gar zwingen, seine Schulden zu begleichen.«
Weil Mitsuyoshi ein Angehöriger des Tokugawa-Klans und der Erbe des Shōgun gewesen ist, fügte Hirata in Gedanken hinzu. Hatte der zornige Besitzer eines Bordells oder einer Teestube Mitsuyoshi ermordet, um ihn zu bestrafen und dem Schmarotzen ein Ende zu machen?
»Kennt Ihr denn einen Geschäftsmann, der einen Grund hatte, auf Mitsuyoshi wütend zu sein?«, fragte Hirata.
Nobuko wandte sich ab und blickte auf ihre tanzenden Töchter. »Ich habe schon viel zu viel gesagt!«
Offenbar wollte sie die Besitzer der Teestuben und Esslokale, in denen ihre Töchter auftraten, nicht belasten. Zwar freute Hirata sich über den neuen Hinweis, zugleich aber wusste er, dass er sich auf gefährliches Gebiet vorwagte, falls er dieser Fährte weiter folgte. Außerdem hatte der Shōgun Sano untersagt, Nachforschungen über Fürst Mitsuyoshi selbst anzustellen, sodass es grober Ungehorsam wäre, würde Hirata nun die Feinde des Ermordeten genauer in Augenschein nehmen. Hirata fluchte im Stillen über die hinderlichen Befehle des Shōgun, bedankte sich bei Nobuko und verließ das Teehaus.
Kurz darauf sah er einen Mann, der sich bedächtig durch die Menge bewegte, in einer Hand einen Eimer, in dem sich Handtücher und Seife befanden, in der anderen Hand einen Gehstock, an dessen Spitze ein Glöckchen befestigt war, das bei jedem Schritt bimmelte. Der Mann war glatzköpfig, und seine toten Augen blickten ins Leere.
»Yoshi- san !«, rief Hirata. »Ist es nicht ein bisschen spät, anderen Leuten den Kopf zu waschen?«
Der blinde Haarwäscher blieb stehen und dachte kurz nach, bevor ein freudiger Ausdruck des Wiedererkennens seine Miene erhellte. »Ah, Ihr seid es, Hirata -san . Ich bin gerade auf dem Heimweg. Kann ich etwas für Euch tun?«
Hirata wusste, dass Yoshi viele Geheimnisse des Vergnügungsviertels kannte, weil er auch in den Bordellen arbeitete und die Kurtisanen Blindheit mit Taubheit gleichsetzten, sodass sie sich freimütig über alles unterhielten, auch wenn Yoshi zugegen war. Doch als Hirata ihn nun fragte, ob er etwas Neues über den Mord erfahren habe, zeigte der Blinde dieselbe Vorsicht und Zurückhaltung, wie Hirata es schon bei Nobuko erlebt hatte.
»Ein gewisser junger Lebemann hatte sich bei meinen Kunden unbeliebt gemacht«, sagte Yoshi, der es vermied, Mitsuyoshis Namen auszusprechen, um sich vor möglichen Anschuldigungen wegen Verleumdung zu schützen. »Der Mann hatte einer Kurtisane versprochen, sie freizukaufen und als Gemahlin in sein Haus aufzunehmen, falls sie ihn zufrieden stellte. Die Kurtisane tat ihr Bestes, doch als der Mann ihrer überdrüssig wurde, ließ er sie fallen.«
Hat Mitsuyoshi Wisterie mit falschen Versprechungen hereingelegt?, fragte sich Hirata. Und hat Wisterie ihn aus Rache für seine Treulosigkeit ermordet?
»Ich kenne tayu , die wegen diesem Mann nun Jahre länger in Yoshiwara verbringen müssen«, sagte Yoshi.
»Sag mir ihre Namen«, verlangte Hirata und drückte dem blinden Haarwäscher Münzen in die Hand.
»Danke, Herr. Die tayu , von denen ich rede, sind Akelei, Takao und Kacho.«
»Wisterie nicht?«
»Nicht, dass ich wüsste, Herr.«
Damit schlurfte Yoshi davon, und das Glöckchen an seinem Gehstock klingelte. Hirata
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