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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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fragte sie: ›Wie bist du hereingekommen? Und was glaubst du, was du da tust?‹ Wisterie erwiderte: ›Ich bin befreit worden, und nun zahle ich dir heim, was du mir angetan hast.‹ Dann urinierte sie auf meine zerschnittenen Kleider. ›Mach, dass du rauskommst!‹, schrie ich sie an. Doch sie lachte nur und sagte: ›Vielleicht wirst du in deinem nächsten Leben in der Welt der Schmach und Schande wiedergeboren, die ich erleiden musste.‹ Dann stürmte sie aus dem Haus. Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, den Göttern sei Dank!« Frau Yue schnaufte, und Zorn loderte in ihren Augen.
    Auch wenn Wisteries Verhalten Reiko abstieß, hatte sie Verständnis für ihren Wunsch nach Rache. Doch was noch wichtiger war: In der Geschichte Frau Yues steckte ein möglicher Hinweis.
    »Wer hatte Wisterie aus Yoshiwara befreit?«, fragte Reiko.
    »Das hat sie nicht gesagt. Aber später kam mir zu Ohren, dass es ein reicher, hochrangiger Beamter gewesen sein soll.«
    Das alles hörte sich schlüssig an, doch eine Sache stellte Reiko vor ein Rätsel. »Wenn dieser Mann Wisterie aus Yoshiwara befreit hat«, sagte sie, »weshalb ist sie dann dorthin zurückgekehrt?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Frau Yue und verzog die Lippen zu einem hässlichen Lächeln. »Aber ich bin froh, dass sie es getan hat.«
    Reiko beschloss, zuerst Ermittlungen darüber anzustellen, wer der Mann gewesen war. Vielleicht waren er und Wisterie in Verbindung geblieben, und der Unbekannte wusste, wo sie sich aufhielt. »Hatte Wisterie enge Freunde, mit denen ich mich unterhalten könnte?«, fragte Reiko, die neben der Suche nach dem Mann weiter in Wisteries Vergangenheit nachbohren wollte, die eine ergiebige Quelle wichtiger Informationen zu sein schien.
    »Es gab da ein Mädchen namens Yuya. Sie wohnte ein Stück die Straße hinunter, als sie und Wisterie noch im Kindesalter waren. Mir wurde gesagt, dass auch Yuya auf die schiefe Bahn geraten sei, aber was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht.«
    »Falls Ihr Wisterie seht oder irgendetwas von ihr hört, wärt Ihr dann so freundlich, eine Nachricht zur Villa meines Gemahls in den Palast zu schicken, damit ich davon erfahre?«, fragte Reiko.
    »Oh, das will ich gern tun«, erwiderte Frau Yue mit einem hässlichen Kichern, das deutlich erkennen ließ, wie gern sie ihre Tochter dem sōsakan-sama ausliefern würde. »Hält Euer Gemahl meine Tochter für die Mörderin von Fürst Mitsuyoshi?«
    »Er hat diese Möglichkeit in Erwägung gezogen«, gab Reiko zu.
    »Nun, Ihr könnt ihm sagen, dass Wisterie auf jeden Fall verderbt genug ist, einen Mord zu begehen«, sagte Frau Yue. »Und wenn er sie zu fassen bekommt und sie vor Gericht stellt, würde ich das bei der Verhandlung nur zu gern aussagen!«

19.

     
    D
    ie Wachposten vor dem Gerichtssaal öffneten die breite, mit Schnitzereien verzierte Tür, und gemeinsam mit vier seiner Ermittler betrat Sano den großen Raum, in dem die Zuschauer in Reihen hintereinander knieten, die bis weit nach vorn im Saal reichten, fast bis zum shirasu , einer rechteckigen, mit weißem Sand – dem Symbol der Wahrheit – gefüllten Vertiefung im Fußboden. Auf dem shirasu kniete Schatzminister Nitta, den Kopf gesenkt, mit gefesselten Händen, unmittelbar vor einem Podium, auf dem sich der Richtertisch befand, hinter dem Magistrat Aoki Platz genommen hatte. Zu beiden Seiten des Richtertisches knieten zwei Schreiber an ihren Pulten; vor ihnen lagen Papier und Schreibzeug.
    Sano und seine Männer knieten unweit der Tür nieder, hinter den Zuschauerreihen. Der Magistrat wandte sich derweil mit krächzender, lauter Stimme an Nitta. »Wir haben soeben den Beweis vernommen, dass Ihr Geld aus dem Staatsschatz gestohlen habt.« In Magistrat Aokis ovalem, von tiefen Furchen durchzogenem Gesicht schimmerten seine klugen, wachen Augen wie feuchte schwarze Steine. Er trug seine schwarzen, mit goldenem Besatz verzierten Amtsgewänder. Auf seinem kahlen Kopf spiegelte sich das Licht der Lampen, die über dem Podium angebracht waren.
    »Ihr dürft jetzt zu Eurer Verteidigung sprechen, Angeklagter, falls Ihr es wünscht.«
    »Ich habe nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen«, sagte Nitta. »Ich gestehe, das Geld genommen, das Vertrauen meines Herrn missbraucht und meine Ehre beschmutzt zu haben.« Seiner leisen Stimme war keinerlei Regung zu entnehmen, doch er ließ wie ein geschlagener Mann die Schultern hängen, denn wie jeder wusste, wurde das Verbrechen, die Tokugawa

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