Der Verrat
zu bestehlen, mit dem Tode bestraft.
»Dann erkläre ich Euch hiermit der Unterschlagung und des Verrats für schuldig«, verkündete Magistrat Aoki.
Sano öffnete den Mund, um Aoki zu bitten, die Hinrichtung aufzuschieben, bis der Mordfall gelöst war. Es konnte sein, dass er weitere Informationen von Nitta benötigte. Deshalb brauchte er den Schatzminister, Momoko und die anderen Verdächtigen lebend, bis er sicher war, wer den Mord begangen hatte. Doch bevor Sano etwas sagen konnte, kam Magistrat Aoki ihm zuvor.
»Doch ich werde mit dem Urteilsspruch warten, weil Ihr eines weiteren schweren Verbrechens beschuldigt werdet«, sagte er zu Nitta. »Ihr werdet Euch nun der Anklage des Mordes an Fürst Mitsuyoshi stellen müssen.«
Der Körper des Schatzministers richtete sich ruckartig auf, als hätte der Schock ihm einen schmerzhaften Stich versetzt. Sano blickte ungläubig zum Richtertisch. Aoki wollte Nitta hier und jetzt des Mordes am Erben des Shōgun anklagen, ohne ihn, den sōsakan-sama , zuvor verständigt zu haben? Doch sein anfängliches Erstaunen schwand, als ihm klar wurde, dass er mit nichts anderem hätte rechnen müssen. Aoki erstrebte ein höheres Amt als das des Magistraten und ließ sich keine Möglichkeit entgehen, sich für die Beförderung zu empfehlen. Oft mischte er sich in Staatsgeschäfte ein, die auf den höchsten Ebenen des bakufu behandelt wurden, um Eindruck auf den Shōgun zu machen. Offenbar genügte es Aoki nicht, Schatzminister Nitta der Unterschlagung wegen zu verurteilen, deshalb wollte er nun die Gelegenheit ergreifen, den Schatzminister auch des Mordes am Erben des Shōgun zu überführen.
Aoki, der Sano bereits gesehen hatte, als dieser den Gerichtssaal betrat, warf ihm nun einen warnenden Blick zu, sich nicht einzumischen.
»Ehrenwerter Magistrat, bei allem gebotenen Respekt muss ich Euch ersuchen, die Verhandlung wegen Mordes aufzuschieben.« Trotz seines Zorns war Sanos Stimme ruhig und höflich, denn er wusste, wie gefährlich sein Ersuchen war. Köpfe ruckten zu ihm herum, Augenpaare starrten ihn an. Sano erkannte mehrere hohe bakufu- Beamte unter den Zuschauern. »Ich ersuche Euch außerdem«, fuhr er unbeirrt fort, »die Verurteilung Schatzminister Nittas wegen Unterschlagung auszusetzen und ihn vorerst unter Hausarrest zu stellen.«
»Weshalb sollte ich Euch diese Wünsche erfüllen?« Aokis schwarze Augen funkelten.
Sano bemerkte, wie der Schatzminister in der verzweifelten Hoffnung auf Strafaufschub zu ihm schaute. Nittas blasse Haut war so grau geworden wie sein Haar. Seit Sano ihn das letzte Mal gesehen hatte, schien er um Jahrzehnte gealtert.
»Die Ermittlungen im Mordfall Mitsuyoshi sind noch nicht abgeschlossen«, sagte Sano, obwohl er sich der Gefahr bewusst war, sich für einen verurteilten Verbrecher einzusetzen. »Noch ist nicht erwiesen, dass Schatzminister Nitta der Mörder des Fürsten gewesen ist. Außerdem benötige ich weitere Aussagen Nittas für meine noch laufenden Ermittlungen.«
»Ich nehme Eure Bitte zur Kenntnis – und muss sie zu meinem Bedauern ablehnen.« Magistrat Aoki war nach außen hin höflich und verbindlich, doch seine hämische Freude war ihm anzumerken. »Ich darf Euch daran erinnern, dass ein Magistrat das Recht hat, Verhandlungen nach eigenem Ermessen anzusetzen und Urteile dann zu fällen, wenn er es für richtig hält.«
Obwohl Sano im bakufu offiziell einen höheren Rang einnahm als Magistrat Aoki, da er zum inneren Kreis des Shōgun zählte, war sein tatsächlicher Status zweifelhaft. Die Frage, welche Beamten ihm zum Gehorsam verpflichtet waren und welche nicht, war eine Frage, die immer wieder umstritten war.
»Das Gericht tagt weiter!«, fuhr Magistrat Aoki fort, »und welche Bestrafung ich für Schatzminister Nitta auch immer als angemessen erachten mag – das Urteil wird noch heute vollstreckt!«
»Der Shōgun hat mir die Verantwortung übertragen, den Mörder von Fürst Mitsuyoshi zu finden«, sagte Sano, der versuchte, seinen Zorn im Zaum zu halten. »Deshalb würdet Ihr mich an der Ausübung meiner Pflichten hindern, falls Ihr Schatzminister Nitta noch heute wegen Unterschlagung und Mordes bestrafen lasst.«
»Allmählich kommt mir der Verdacht, Ihr wollt die gerechte Bestrafung eines Verbrechers zu Eurem eigenen Nutzen hinauszögern.« Eine tödliche Drohung schwang in Aokis Stimme mit, und unruhiges Raunen durchlief die Reihe der angespannt lauschenden Zuschauer. »Ist es Euch lieber, der Mörder
Weitere Kostenlose Bücher