Der Verrat
sehr wohl wusste?« Die Falten in Aokis Gesicht wurden tiefer, als er Verwunderung vortäuschte.
»Ja, ehrenwerter Magistrat.«
Aoki nickte zufrieden und wandte sich an die Zuschauer im Saal. »Schatzminister Nitta ist deshalb im Owariya geblieben«, sagte er laut, »weil er sich an Fürst Mitsuyoshi rächen wollte. Und er hatte ausreichend Gelegenheit, sich in die erste Etage zu schleichen und seinen Rivalen zu töten.«
Die nächsten zwei Zeugen waren die Wächter, die in der Mordnacht am Eingangstor Yoshiwaras auf Posten gestanden hatten. Nach kurzer Befragung durch den Magistraten gaben sie zu, dass Nitta sie bestochen hatte, ihn nach Beginn der Sperrstunde durchs Tor zu lassen.
»Offensichtlich hatte Schatzminister Nitta es so eilig, weil er so schnell wie möglich vom Schauplatz seines Verbrechens fliehen wollte.« Aoki wandte sich Nitta zu. »Habt Ihr etwas zu Eurer Verteidigung vorzubringen?«, fragte er.
»Ich habe niemanden ermordet«, sagte Nitta mit schriller Stimme. »Ich bin ein Dieb, aber kein Mörder!«
»Ein Samurai wie Ihr, der verderbt genug ist, seinen Herrn zu berauben, ist auch dazu im Stande, den Vetter seines Herrn zu töten«, erwiderte Magistrat Aoki. »Ich erkläre Euch hiermit des Mordes an Fürst Mitsuyoshi für schuldig.«
Nitta sprang so heftig auf, dass der weiße Sand des shirasu emporstob. »Ich habe ihn nicht ermordet!«, rief er. Aufgeregtes Getuschel durchlief die Reihen der Zuschauer. »Was immer Ihr mir vorwerft – mit dem Mord habe ich nichts zu tun!«
Zwei Wachen packten Nitta und zwangen ihn wieder auf die Knie.
Ob Nitta nun die Wahrheit sagte oder ob er lediglich zu verhindern versuchte, dass weitere Schmach und Schande auf ihn und seine Familie fielen – Sano konnte nicht mehr schweigen.
»Ehrenwerter Magistrat«, sagte er und stand auf. »Ihr dürft den Verdächtigen nicht auf der Grundlage solch dürftiger Beweise verurteilen!«
Magistrat Aoki bedachte Sano mit düsteren Blicken, als spielte er mit dem Gedanken, ihn aus dem Gerichtssaal werfen zu lassen. Doch Sanos Rang war viel zu hoch, als dass Aoki es wagen durfte. Stattdessen sagte er: »Ein Magistrat hat das Recht, selbst über das Maß der Beweiskraft von Aussagen und Indizien zu urteilen. Und ich habe entschieden, dass die Beweise gegen Schatzminister Nitta schwerwiegend genug sind, ihn als überführten Mörder zu verurteilen!«
»Ihr dürft mich nicht verurteilen!« Nitta wand sich verzweifelt im Griff der Wächter. »Ich bin unschuldig. Ich schwöre es bei der Ehre meiner Ahnen!«
»Ihr habt nicht einmal die Hinweise aufgeführt, die für die Unschuld des Angeklagten sprechen!«, rief Sano dem Magistraten zu.
Er hörte Gemurmel und Getuschel im Gerichtssaal. Zuschauer drehten sich zu ihm um und musterten ihn mit verwunderten Blicken. Sano konnte beinahe spüren, dass die anwesenden Beamten sich fragten, weshalb er für einen geständigen Dieb Partei ergriff. Er wusste, dass viele dieser Männer es nur zu gerne sähen, würde er an der Seite Nittas hingerichtet. Sano fluchte im Stillen, dass sein Streben nach Gerechtigkeit ihn immer wieder in höchste Gefahr brachte. Doch er durfte nicht zulassen, dass der Mordfall Mitsuyoshi mit Nittas Hinrichtung abgeschlossen wurde, wo so vieles dafür sprach, dass jemand anders der Täter war.
»Ich habe sämtliche Beweise vorgebracht, die ich als bedeutungsvoll betrachte«, sagte der Magistrat. »Sie sind mehr als ausreichend, um dem Gesetz zu entsprechen.«
Sano wusste, dass Aoki Recht hatte: Zahlreiche Verdächtige wurden – ob zu Recht oder zu Unrecht – auf der Grundlage noch dürftigerer Beweise verurteilt, als Aoki sie gegen Nitta vorgebracht hatte, und zwar mit voller Rückendeckung durch den bakufu .
Dennoch sagte Sano: »Aber keiner Eurer Zeugen hat ausgesagt, gesehen zu haben, dass Nitta jenes Gemach betreten hat, in dem Fürst Mitsuyoshi starb. Und auch die Durchsuchung dieses Gemachs durch meine Männer und mich hat keinen dahin gehenden Hinweis erbracht.«
Der Magistrat tat Sanos Einwand mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Dann hat Nitta entweder sämtliche Spuren seines Aufenthalts beseitigt, oder Ihr habt diese Spuren übersehen. Nittas Liebe zu Wisterie ist Beweis genug, dass er aus Zorn und Eifersucht die Gelegenheit ergriff, seinen Rivalen zu ermorden, der die Nacht mit seiner Geliebten verbrachte.«
»Ich liebe sie nicht!«, rief Nitta verzweifelt. »Hätte ich sie so sehr begehrt, hätte ich sie freigekauft und geheiratet! Das
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