Der Verrat Der Drachen: Roman
ihr hier, um mich in die Stadt zu bringen?«, fragte sie.
Die gelben Augen des Weibchens verengten sich. »Er wird dich tragen«, antwortete sie in einem Ton, der so trocken wie Sand war. Natürlich – sie mussten gerannt sein, um sie so schnell zu erreichen.
»Steig auf.« Der männliche Alhanti wandte ihr den breiten, bloßen Rücken zu und kniete sich hin. Lange Striemen, mittlerweile verheilte Spuren einer Peitsche, zeichneten seine Haut. Shaan schluckte ihren Abscheu und ihre Furcht hinunter und schlang ihm die Arme um den Hals, so dass sein silberblauer Kamm nahe an ihrem Gesicht lag. Sofort stand er auf, packte ihre Beine und führte sie um seine Taille zusammen.
»Festhalten!«, knurrte er und rannte ohne weitere Vorwarnung los.
Er lief schnell, schneller, als Shaan es für möglich gehalten hätte, raste über den unebenen Boden, sprang über umgestürzte Bäume und pflügte durchs Unterholz. Übelkeit regte sich in ihrem Inneren, während die Dunkelheit an ihrem Gesicht vorbeipeitschte und Luft, die nach Flussfeuchtigkeit und Nacht schmeckte, ihr an den Augen vorbeizog und in den Mund strömte. Hinter sich konnte sie den ruhigen Atem der Alhanti hören, die ihnen folgte. Shaan schloss die Augen und betete, dass es bald vorüber sein würde.
Die Alhanti stieß einen Ruf aus, und Shaan öffnete die Augen, um Licht, den Fluss und den hoch aufragenden Bogen der alten Brücke zu sehen, der das reißende Wasser überspannte und in die Stadt führte.
Der Alhanti setzte sie ab, und Shaan fiel fast hin, als ihr das Blut zurück in die unteren Gliedmaßen strömte. Sie stolperte, und die beiden beobachteten sie mit ungerührtem Ausdruck auf ihren seltsamen Gesichtern. Sie ignorierte sie; sie verabscheute es, die Überreste der Menschen zu sehen, die sie einst gewesen waren. Ihre Augen waren zu länglich, ihre Gesichter breiter, ihre Knochen größer – aber in mancherlei Hinsicht waren sie noch menschlich.
»Komm.« Das Weibchen wies auf die Brücke, aber Shaan rührte sich nicht. Sie spürte Azoth in der Nähe, fast physisch gegenwärtig, eine Hand, die ihr über die Haut strich. Helle Fackeln erleuchteten das neue Tor, das den breiten Haupteingang bewachte. Die Mauern waren ausgebessert worden, und von hoch oben erscholl der Klang von Flügeln, die die Luft durchschnitten. Ein Drache glitt über die Baumkronen dahin und stürzte sich in die Tiefe, um irgendwo in der Stadt zu landen.
»Beweg dich!« Die Alhanti versetzte ihr einen Stoß in den Rücken.
Shaan strauchelte, drehte sich um und starrte sie böse an. Ihre linke Hand zuckte.
»Rühr mich nicht noch einmal an«, sagte sie.
Die Alhanti musste etwas gespürt haben, denn ihre länglichen Augen verengten sich, und sie trat einen Schritt zurück. »Er wartet«, sagte sie beinahe schmollend.
»Er kann noch ein wenig länger warten.« Shaan machte einen Schritt auf die steinerne Brücke und ging die sanfte Steigung bis zu ihrem höchsten Punkt empor, wo sie Halt machte, um die Stadt anzusehen. Al Hanatoha, so hatte Alterin sie genannt. Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie hier gestanden hatte. Der Schöpferstein hatte nach ihr gerufen, und sie spürte jetzt wieder, wie er schwach summte. Er war die Ursache eines so großen Teils ihres Schmerzes …
Die breite Straße, die ins Herz der Stadt führte, lag gesäumt von Fackeln vor ihr. Kein Weg zurück. Ohne die Alhanti anzusehen, schritt sie auf die andere Seite der Brücke und machte sich zum Tor auf.
Innerhalb der Mauern hatte sich die Stadt sehr verändert. Die Bäume versuchten nicht mehr, die Gebäude zu verschlingen. Die meisten Spuren von Verfall waren verschwunden: Steinmauern waren wiedererrichtet worden, die Straßen waren von Schutt befreit. Der Dschungel war zurückgedrängt worden, fort von den neu behauenen Steinen. Scanorianer durchstreiften in Rudeln die Straßen; ihre dunklen, schmalen Gesichter starrten Shaan böse an, wenn sie ihr aus dem Weg wichen, und sie sah, wie sie gefesselte Menschen hinter sich herzogen. Sobald diese sie sahen, waren sie erst erschrocken und dann eingeschüchtert; sie wandten sich rasch ab, um nicht von ihren Bewachern verprügelt zu werden. Sie waren in einem schrecklichen Zustand: Sie wirkten halb verhungert und verzweifelt, und Shaan rang darum, ihren Zorn in Zaum zu halten. Sie konnte ihnen hier nicht helfen – noch nicht.
Ihr tat vor Erschöpfung alles weh, aber sie zwang sich, rasch durch die Straßen zu gehen; sie wusste, wie sie zum
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