Der Verrat Der Drachen: Roman
Schlacht. Die Kämpfe kamen zum Erliegen. Tausende von Scanorianern kreischten in einem gemeinsamen, schrillen Schrei auf und brachen plötzlich den Kampf ab. Sie begannen, sich bis zum Boden zu verneigen. In der Luft über ihnen schrien die Drachen, und Nuathin duckte sich tief auf die Erde.
»Tallis!«, rief Shaan, aber er wollte nicht gegen Azoth nachgeben. Ihr mit Macht und Willenskraft ausgefochtener Kampf war wie ein Dröhnen in ihrem Geist. Doch Azoth hatte den Schöpferstein nicht; er war verwundbarer, als er dachte. Und sie spürte, wie Tallis’ Kraft wuchs. Sabuts Worte kehrten ihr ins Gedächtnis zurück. Wenn er stirbt, wirst auch du sterben, und auch alle, die du liebst. Der Stein ist der Schlüssel .
»Bruder!« Eine tiefe Stimme, die von einer neuen, unvertrauten Macht erfüllt war, wogte durch die Luft, und Azoth zuckte zusammen. Das war die Gelegenheit, die Tallis benötigte. Mit einem Zornesschrei stieß er den Gott von sich, und Azoth stürzte hintenüber zu Boden. Tallis zog ein kurzes Messer aus dem Stiefel, und Shaan tat das Einzige, was ihr einfiel.
»Nein!« Sie griff mit der linken Hand in den Sand und hob den Schöpferstein hoch.
Alles verblasste. Ihre Welt schrumpfte für kurze Zeit auf ein nachtschwarzes Etwas zusammen, als die Macht sie durchfuhr, ein reißender Fluss des Schmerzes. Er murmelte in ihrem Geist, summte zusammenhanglos: ein Hervorbrechen von Erinnerung, von Gesang, von Furcht. Sie spürte, dass er lebte, ein Bewusstsein hatte, das mit den Göttern verbunden war, aber auch mit ihr, als ob der Stein das Mal wiedererkannte, das er auf ihrem Fleisch hinterlassen hatte. Er gestattete ihr, am Leben zu bleiben – ihn zu berühren und am Leben zu bleiben.
Sie streckte die Hand, in der sie ihn hielt, zu Azoth und ihrem Bruder aus, und ein Energiekeil flog aus ihm hervor und durch ihre Hand. Der Rückstoß ließ sie hintenüberfallen, und als sie die Augen öffnete, sah sie Tallis im Sand liegen und sie entsetzt anstarren; sein Messer war nur noch ein rauchender, verformter Metallstreifen. Hatte sie das mit dem Stein bewirkt? Azoth, der auf die Knie geschleudert worden war, starrte sie ungläubig an.
Shaan? Tallis’ Stimme in ihrem Geist war schmerzvoll, als fühle er sich verraten.
Er muss am Leben bleiben , antwortete sie, aber er verstand es nicht. Er sah sie an, als würde er sie nicht wiedererkennen.
»Lass ihn fallen!« Azoth sprang zornig auf. Hinter ihm kamen die Vier näher. Das Gesicht des Weißhaarigen an der Spitze strahlte vor Faszination. Sie spürte plötzlich die Seelen, die die Vier schon gesammelt hatten. Ihre Absicht, mehr zu bekommen. Diesen Todesbringern sollte sie den Machtsplitter übergeben? So konnte es nicht sein – keiner von ihnen durfte den Stein bekommen. Sabut musste sich täuschen. Der Prophet musste recht haben.
»Nein«, flüsterte sie und wusste, dass Tallis sah, was sie plante.
Sie legte den Stein in den Sand vor sich und zog das Messer, das sie am Gürtel trug.
Nicht! Tallis’ Stimme war ein entsetzter Schrei in ihrem Geist.
Ich muss , antwortete sie, krampfte die linke Hand um den Griff, rief den dunklen Druck in ihrem Inneren wach und rammte das Messer in den Stein.
Azoth machte mit ausgestreckter Hand einen Satz vorwärts, als ihre Macht in den Stein hämmerte. Der Funken, der von ihm aufstob, war der hellste, den sie je sehen sollte. Als ihr Messer sich tief in den Stein grub, schoss eine schwarze Lichtsäule daraus hervor, und sie sah in ihrem seltsamen Schimmer das schreiende Gesicht der Göttin und den Zorn der Götter über das, was sie getan hatte, aber das war nichts im Vergleich zur Wut des Steins. Es ertönte ein brüllender Laut, ein seltsames, klagendes Heulen, und die Luft riss um sie her auf; ein abgrundtiefes Nichts öffnete sich in ihrem Rücken. Sie spürte Azoths Hand auf ihrer Schulter, sah das entsetzte, gequälte Gesicht ihres Bruders, konnte seinen Schrei aber nicht hören. Irgendetwas zog sie nach hinten. Azoths Finger gruben sich in ihre Schulter, und dann wurde alles weiß.
53
T allis starrte die Stelle des Erdbodens an, wo Shaan und Azoth sich eben noch befunden hatten. Sie waren fort. Aber der Stein war noch da, lag klein und mit ihrem tief eingedrungenen Messer in sich da; eine feine, rote Staubschicht überzog seine glänzende Oberfläche.
Der größere Gott trat vor und bückte sich, um seine riesige Hand um den Stein zu schließen; er achtete darauf, das Messer nicht zu berühren. Er sah
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