Der Verrat Der Drachen: Roman
weiterzukämpfen. Er griff an, als läge ihm nichts an dem Leben, das er vielleicht verlieren würde. Shaan rollte sich am Boden zusammen, als hätte sie Schmerzen, als könne sie es nicht ertragen, zuzusehen, und nahm, indem sie ihren Körper als Sichtschutz einsetzte, Balkis’ Anhänger ab. Sie öffnete Tasche und Kästchen, ließ den Stein hinaus in den Sand rollen und ersetzte ihn durch den Anhänger. Der Schöpferstein lag im Schmutz wie etwas Kleines, Unbedeutendes, schwarz wie die dunkelste Nacht; er schien das Licht ringsum zu verschlingen, aber dennoch so auszusehen, als ob er ein gewöhnlicher Stein wäre, und Shaan fragte sich, ob er verloren gehen würde, wenn sie ihn einfach mit Erde bedeckte und dort liegen ließ. Das Summen in ihrem Verstand ließ sie daran zweifeln.
»Ist das alles, was du zu bieten hast, Sohn?«, fragte Azoth und ließ Tallis mit einer bloßen Handbewegung wieder zurückstolpern. »Du wirst …« Er hielt mit erhobenem Schwert inne. Shaan verspürte ein seltsames Gefühl, als ob sich alles zusammenzog und ihr Herzschlag sich verlangsamte, während Azoth plötzlich fort von der Schlacht, nach Westen, starrte. Als sie seinem Blick folgte, sah sie vier Gestalten auf sie zukommen; eine rannte den anderen voraus.
Tallis stöhnte leise und kämpfte sich auf die Beine, doch Azoth ignorierte ihn.
»Sie sind hier«, sagte er und tastete an seinem Gürtel nach dem Stein. Der Ausdruck von Verwirrung und dann Zorn, der in seinen Augen aufdämmerte, veranlasste Shaan schlagartig zum Handeln.
»Tallis, bleib unten!«, rief sie, als Azoth sich zu ihr umdrehte.
»Gib ihn mir!«, sagte er, und die Macht in seiner Stimme war furchterregend.
Er schritt auf sie zu. Heftig atmend, ihr Innerstes angespannt vor Furcht, hob sie die Tasche zu ihm hoch, als er drohend über ihr aufragte.
»Hier.« Sie zuckte zurück, als er die Tasche packte und fest in der Hand hielt. Seine Faust traf sie an der Wange, warf sie zurück und auf den Stein. Tallis brüllte vor Wut, aber sie hörte ihn kaum, da der Schmerz, den Azoths Hieb verursacht hatte, im Vergleich damit, wie sich der Stein anfühlte, zu etwas Unbedeutendem verblasste. Die Essenz des Steins schrie in ihrem Geist, als ihre Seite ihn berührte. Sie keuchte; ihre Brust erstarrte, und ihre linke Seite war plötzlich nur noch Schmerz; alles verschwamm ihr vor den Augen. Sie hörte Kämpfer ächzen, und alles, woran sie denken konnte, war das, was sie bei der Berührung des Steins wahrgenommen hatte: Die Vier sind hier, die Vier kommen . Sie richtete sich auf die Knie auf und sah, dass Tallis einen Schlag gegen Azoth geführt hatte und sich die beiden mit gekreuzten Schwertern von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Die Macht, die von Tallis ausging, war gewaltig. Seine Augen waren jetzt so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten, als er den Gott böse anstarrte. Sie rangen miteinander, und Azoth sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Zwing mich nicht, ihn einzusetzen, Sohn.«
Tallis antwortete nicht; Shaan blickte an ihm vorbei und sah, dass der erste der Vier die beiden fast erreicht hatte. Schlank und weißhaarig, schön wie ein Greifvogel, rannte er, als ob keine Erde unter seinen Füßen läge. Hinter ihm kam ein größerer, dunkelhaariger Mann, der eine rothaarige Frau an der Hand hielt, die einen Schimmer ausstrahlte; neben ihnen ging, ein wenig abgesetzt, ein dunkelhäutiger Mann von kräftigem Körperbau. Seine massigen Beine schoben sich durch den Sand, als ob es sich dabei um ein Meer handele, das ihn umtoste. Ihre Macht war ungeheuerlich, entsetzlich, und Shaan hätte froh sein sollen, dass sie hier waren, aber irgendetwas stimmte nicht. Das Licht in ihren Augen war nicht wohlwollend; Shaan begriff binnen eines Augenblicks, dass dies nicht ihre Retter waren.
Sie wusste, dass sie ihnen den Stein nicht geben durfte. In ihnen lagen Macht und Wissen, aber kein Erbarmen, kein Mitgefühl. Sie sahen eine Schlacht vor sich toben, in der so viele starben und so viel Angst herrschte, und doch hätten sie genauso gut nichts betrachten können. Das Elend, das sich hier abspielte, und die Leben, die verloren gingen, waren unwirklich für sie.
Ein seltsames Geräusch ertönte, ein Brüllen, das leise wie ein Seufzen war und doch über den Sand trug wie ein Dröhnen in der Erde. Es hallte in Shaans Brustkorb wider und donnerte durch ihre Knochen.
»Vail!«, rief Azoth.
Der Laut ging von dem dunkelhäutigen Gott aus, und irgendetwas geschah in der
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