Der Verrat: Thriller (German Edition)
aussonderte, waren ungefähr so gefährliche Terroristen wie ihre Großmutter. Genau besehen war dieser Vergleich allerdings nicht besonders treffend. Ihre Großmutter konnte dieser Tage in Sachen schottische Unabhängigkeit fuchsteufelswild werden. Auch wenn sie Rutherglen bereits im Alter von fünf Monaten verlassen hatte.
Vivian McKuras’ Problem war Langeweile. Jede Vernehmung, die sie nach einer Festnahme durch den Sicherheitsdienst durchgeführt hatte, war vollkommen zwecklos gewesen. Meistens hatte sie schon nach drei Minuten gewusst, dass die Männer, Frauen oder Kinder, die man festhielt, damit sie sich mit ihnen befasste, für die Sicherheit des Landes völlig irrelevant waren. Körperbehinderte Veteranen, inkontinente Senioren und der Sikh mit seiner Kopie eines Prunksäbels aus schwarzem Plastik würden kein Flugzeug entführen oder den Flughafen dem Erdboden gleichmachen. Und in den wenigen Fällen, in denen ihrer Meinung nach eine weitere Untersuchung nötig gewesen war, hatten die Vorschriften verlangt, dass sie das Chicagoer Büro beteiligte. Ihr potenzieller Verdächtiger wurde sofort weggebracht, damit er von Kollegen befragt werden konnte, deren Laufbahn weniger unschöne Flecken aufwies als ihre.
Die Langeweile brachte sie schier um. So oft schon hatte sie sich unter der Dusche ihren Kündigungsbrief ausgedacht. Aber dann drängten sich ihr immer die praktischen Probleme auf. Wie konnte sie sonst ihren Lebensunterhalt verdienen? Zurzeit steckte das Land in einer Rezession. Niemand stellte neue Leute ein. Und besonders keine Leute ohne Fachausbildung. Fünf Jahre beim FBI waren lediglich eine Qualifikation für eine weitere solche Arbeit. Und weiter die gleiche Arbeit zu machen, das war genau das, was sie nicht wollte.
Und um ihren Tag vollends zu ruinieren, betrat jetzt auch noch Randall Parton ihr Büro. Vivian hatte zu vermeiden versucht, dass ihre instinktive Abneigung gegen Parton sich störend auf ihre berufliche Beziehung auswirkte. Aber bei seiner unübersehbaren Arroganz und Dummheit, die sich gleich bei ihrer ersten Begegnung – und auch bei jeder weiteren – gezeigt hatte, war das schwierig.
»Agentin McKuras«, sagte er und nickte knapp zum Gruß. Er schaffte es immer, deutlich zu machen, dass der Mangel an Respekt auf Gegenseitigkeit beruhte.
»Was soll ich heute für Sie tun, Officer Parton?« Vivian lächelte zuckersüß, denn sie wusste, es brachte ihn fast um, dass die Macht, mehr zu veranlassen, als einen Passagier am Besteigen des Flugzeugs zu hindern, in ihrer Hand lag.
Parton betrachtete den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch und war wie immer hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Platz zu nehmen – obwohl er wusste, dass die Aufforderung dazu erfahrungsgemäß nicht zu erwarten war –, und dem Verlangen, sie wie ein Riese zu überragen. »Wir haben drüben eine Verrückte. Der Metalldetektor schlug an, sie wurde in die Kabine gebracht, wo sie auf eine Mitarbeiterin warten sollte. Wir kamen nicht gleich dazu, Sie wissen ja, wie viel um diese Zeit los ist.«
»Ich weiß«, sagte Vivian und wünschte, es wäre nicht so. Wünschte, dieser Flughafen und alle internen Abläufe wären ihr ein Geheimnis.
»Aus heiterem Himmel bricht sie aus der Kabine aus.« Parton klang defensiv wie jemand, der erwartete, früher oder später herauszufinden, dass er sich getäuscht hatte. »Die Mitarbeiter versuchen sie aufzuhalten, aber das lässt sie nicht zu. Schließlich hat einer meiner Männer ’ne blutige Nase, überall Blut, und sie macht immer noch weiter, schreit irgendwas, das keiner von meinen Leuten kapiert.«
»Sie spricht nicht Englisch?«
Partons Mund zuckte, um seinen Widerwillen auszudrücken. »Engländerin ist sie schon, aber niemand hat ’ne Ahnung, was sie da schreit. Also tasert man sie, wie es vorgeschrieben ist, wenn man auf gewalttätigen Widerstand stößt. Sie geht zu Boden, steht aber gleich wieder auf. Wie eine Verrückte. Also tasern sie sie mit einem längeren Schock, und diesmal bleibt sie liegen, bis man ihr Handschellen angelegt hat. Lopez hat sie dann in den Verhörraum gebracht.«
Vivian verspürte Erleichterung. Lia Lopez war Parton zwar untergeordnet, aber sie hatte mehr Verstand als alle anderen Kollegen ihrer Schicht zusammengenommen. »Gut gemacht«, sagte sie.
»Da werde ich dazugerufen. Und jetzt wird’s kompliziert.«
»Wie kompliziert?«
»Erstens mal ist sie ’ne Klugscheißerin. Jedes Mal, wenn ich ihr eine Frage stelle,
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