Der Verschollene
Schmerzen oder vor sonstigem Leid oder gar vor Freude über das Wiedersehen mit Karl vergoß. „Roßmann", rief er vorwurfsvoll, „warum läßt Du mich denn solange warten. Schon eine Stunde ver- bringe ich damit, mich zu wehren, damit ich nicht früher wegtransportiert werde ehe Du kommst. Diese Kerle" – und er gab dem einen Lifjungen ein Kopfstück, als sei er durch die Verbände vor Schlägen geschützt – „sind ja wahre Teufel. Ach Roßmann der Besuch bei Dir ist mir teuer zu stehn gekommen." „Was hat man Dir denn gemacht?" sagte Karl und trat an die Bahre heran, wel- che die Lifjungen um sich auszuruhn lachend nieder- stellten. „Du fragst noch", seufzte Robinson, „und siehst wie ich ausschaue. Bedenke! Ich bin ja höchst- wahrscheinlich für mein ganzes Leben zum Krüppel ge- schlagen. Ich habe fürchterliche Schmerzen von hier bis hier" – und er zeigte zuerst auf den Kopf und dann auf die Zehen – . „Ich möchte Dir wünschen, daß Du gese- hen hättest wie ich aus der Nase geblutet habe. Meine Weste ist ganz verdorben, die habe ich überhaupt dort gelassen, meine Hosen sind zerfetzt, ich bin in Unterho- sen" – und er lüfete die Decke ein wenig und lud Karl ein unter sie zu schauen. „Was wird nur aus mir werden! Ich werde zumindest einige Monate Hegen müssen und das will ich Dir gleich sagen, ich habe niemanden andern als Dich der mich pflegen könnte, Delamarche ist ja viel zu ungeduldig. Roßmann, Roßmannchen!" Und Robin- son streckte die Hand nach dem ein wenig zurücktreten- den Karl aus, um ihn durch Streicheln für sich zu gewin- nen. „Warum habe ich Dich nur besuchen müssen!" wiederholte er mehrere Male, um Karl die Mitschuld nicht vergessen zu lassen, die dieser an seinem Unglück hatte. Nun erkannte zwar Karl sofort, daß das Klagen Robinsons nicht von seinen Wunden, sondern von dem ungeheueren Katzenjammer stammte, in dem er sich be- fand, da er in schwerer Trunkenheit kaum eingeschlafen, gleich geweckt und zu seiner Überraschung blutig ge- boxt worden war und sich in der wachen Welt gar nicht mehr zurechtfinden konnte. Die Bedeutungslosigkeit der Wunden war schon an den unförmlichen aus alten Fetzen bestehenden Verbänden zu sehn, mit denen ihn die Lifjungen offenbar zum Spaß ganz und gar umwik- kelt hatten. Und auch die zwei Lifjungen an den Enden der Bahre prusteten vor Lachen von Zeit zu Zeit. Nun war aber hier nicht der Ort Robinson zur Besinnung zu bringen, denn stürmend eilten hier die Passanten ohne sich um die Gruppe an der Bahre zu kümmern vorbei, öfers sprangen Leute mit richtigem Turnerschwung über Robinson hinweg, der mit Karls Geld bezahlte Chauffeur rief „Vorwärts, vorwärts", die Lifjungen ho- ben mit letzter Kraf die Bahre auf, Robinson erfaßte Karls Hand und sagte schmeichelnd „Nun komm, so komm doch", war nicht Karl in dem Aufzug in dem er sich befand im Dunkel des Automobils noch am besten aufgehoben? und so setzte er sich neben Robinson, der den Kopf an ihn lehnte, die zurückbleibenden Lifjun- gen schüttelten ihm, als ihrem gewesenen Kollegen durch das Coupeefenster herzlich die Hand und das Automobil drehte sich mit scharfer Wendung zur Straße hin, es schien als müsse unbedingt ein Unglück ge- schehn, aber gleich nahm der alles umfassende Verkehr auch die schnurgerade Fahrt dieses Automobils ruhig in sich auf.
Es mußte wohl eine entlegene …
Es mußte wohl eine entlegene Vorstadtstraße sein, in der das Automobil haltmachte, denn ringsum herrschte Stille, am Trottoirrand hockten Kinder und spielten, ein Mann mit einer Menge alter Kleider über den Schultern rief beobachtend zu den Fenstern der Häuser empor, in seiner Müdigkeit fühlte sich Karl unbehaglich als er aus dem Automobil auf den Asphalt trat, den die Vormit- tagssonne warm und hell beschien. „Wohnst Du wirk- lich hier?" rief er ins Automobil hinein. Robinson der während der ganzen Fahrt friedlich geschlafen hatte brummte irgendeine undeutliche Bejahung und schien darauf zu warten, daß Karl ihn hinaustragen werde. „Dann habe ich hier also nichts mehr zu tun. Leb wohl", sagte Karl und machte sich daran, die ein wenig sich senkende Straße abwärts zu gehn. „Aber Karl, was fällt Dir denn ein?" rief Robinson und stand schon vor lauter Sorge ziemlich aufrecht, nur mit noch etwas unru- higen Knien, im Wagen. „Ich muß doch gehn", sagte Karl, der der raschen Gesundung Robinsons zugesehn hatte. „In Hemdärmeln?" fragte dieser. „Ich werde mir schon noch einen
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