Der Verschollene
Rock verdienen", antwortete Karl, nickte Robinson zuversichtlich zu, grüßte mit erhobener Hand und wäre nun wirklich fortgegangen, wenn nicht der Chauffeur gerufen hätte: „Noch einen kleinen Au- genblick Geduld mein Herr." Es zeigte sich unangeneh- mer Weise, daß der Chauffeur noch Ansprüche auf eine nachträgliche Bezahlung stellte, denn die Wartezeit vor dem Hotel war noch nicht bezahlt. „Nun ja", rief aus dem Automobil Robinson in Bestätigung der Richtigkeit dieser Forderung, „ich habe ja dort so lange auf Dich warten müssen. Etwas mußt Du ihm noch geben." „Ja freilich", sagte der Chauffeur. „Ja wenn ich nur noch etwas hätte", sagte Karl und griff in die Hosentaschen, trotzdem er wußte daß es nutzlos war. „Ich kann mich nur an Sie halten", sagte der Chauffeur und stellte sich breitbeinig auf, „von dem kranken Mann dort kann ich nichts verlangen." Vom Tor her näherte sich ein junger Bursch mit zerfressener Nase und hörte aus einer Ent- fernung von paar Schritten zu. Gerade machte durch die Straße ein Polizeimann die Runde, faßte mit gesenktem Gesicht den hemdärmligen Menschen ins Auge und blieb stehn. Robinson, der den Polizeimann auch be- merkt hatte, machte die Dummheit, aus dem andern Fenster ihm zuzurufen: „Es ist nichts, es ist nichts", als ob man einen Polizeimann wie eine Fliege verscheuchen könnte. Die Kinder, welche den Polizeimann beobachtet hatten, wurden nun durch sein Stillstehn auch auf Karl und den Chauffeur aufmerksam und liefen im Trab her- bei. Im Tor gegenüber stand eine alte Frau und sah starr herüber.
„Roßmann", rief da eine Stimme aus der Höhe. Es war Delamarche, der das vom Balkon des letzten Stock- werks rief. Er selbst war nur schon recht undeutlich gegen den weißlich blauen Himmel zu sehn, hatte offen- bar einen Schlafrock an und beobachtete mit einem Operngucker die Straße. Neben ihm war ein roter Son- nenschirm aufgespannt unter dem eine Frau zu sitzen schien. „Halloh", rief er mit größter Anstrengung um sich verständlich zu machen, „ist Robinson auch da?" „Ja", antwortete Karl, von einem zweiten viel lautern „Ja" Robinsons aus dem Wagen kräftig unterstützt. „Halloh", rief es zurück, „ich komme gleich." Robin- son beugte sich aus dem Wagen. „Das ist ein Mann", sagte er und dieses Lob Delamarches war an Karl gerich- tet, an den Chauffeur, an den Polizeimann und an jeden, der es hören wollte. Oben auf dem Balkon, den man aus Zerstreutheit noch ansah, trotzdem ihn Delamarche schon verlassen hatte, erhob sich nun unter dem Sonnen- schirm tatsächlich eine starke Frau in rotem Kleid, nahm den Operngucker von der Brüstung und sah durch ihn auf die Leute hinunter, die nur allmählich die Blicke von ihr wendeten. Karl sah in Erwartung des Delamarche in das Haustor und weiterhin in den Hof, den eine fast ununterbrochene Reihe von Geschäfsdienern durch- querte, von denen jeder eine kleine, aber offenbar sehr schwere Kiste auf der Achsel trug. Der Chauffeur war zu seinem Wagen getreten und putzte um die Zeit auszu- nützen, mit einem Fetzen die Wagenlaternen. Robinson befühlte seine Gliedmaßen, schien erstaunt über die ge- ringen Schmerzen zu sein, die er trotz größter Aufmerk- samkeit fühlen konnte und begann vorsichtig mit tief geneigtem Gesicht einen der dicken Verbände am Bein zu lösen. Der Polizeimann hielt sein schwarzes Stöck- chen quer vor sich und wartete still mit der großen Ge- duld, die Polizeileute haben müssen, ob sie im gewöhnli- chen Dienst oder auf der Lauer sind. Der Bursche mit der zerfressenen Nase setzte sich auf einen Torstein und streckte die Beine von sich. Die Kinder näherten sich Karl allmählich mit kleinen Schritten, denn dieser schien ihnen, trotzdem er sie nicht beachtete, wegen seiner blauen Hemdärmel der wichtigste von allen zu sein. An der Lange der Zeit, die bis zur Ankunf Dela- marches vergieng, konnte man die große Höhe dieses Hauses ermessen. Und Delamarche kam sogar sehr eilig mit nur flüchtig zugezogenem Schlafrock. „Also da seid Ihr!" rief er, erfreut und streng zugleich. Bei seinen gro- ßen Schritten enthüllte sich stets für einen Augenblick seine färbige Unterkleidung. Karl begriff nicht ganz, warum Delamarche hier in der Stadt, in der riesigen Mietskaserne, auf der offenen Straße so bequem angezo- gen herumgieng, als sei er in seiner Privatvilla. Ebenso wie Robinson hatte auch Delamarche sich sehr verän- dert. Sein dunkles, glatt rasiertes, peinlich
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